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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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hinter mir. Wir wurden erwischt, auf einer Patrouille, und verloren fast jeden Mann. Ein paar konnten entkommen. Aber ich nicht. Ich kriegte einen Schuss durchs Bein und landete in einem nordvietnamesischen Gefangenenlager. Der Colonel, der da das Kommando hatte, dachte, ich wüsste mehr, als ich wusste.«
    Ich sah, dass seine Hände zuckten.
    »Entweder das, oder er war schlicht niederträchtig. Letzten Endes ist es wahrscheinlich egal. Er bearbeitete mich ein paar Wochen, machte mir die Hände gründlich kaputt und warf mich dann für fünf Jahre ins Loch. Ich wäre fast drin gestorben.« Seine Stimme verlor sich. »Fünf verdammte Jahre«, wiederholte er und verstummte wieder. Ich spürte, dass er in Gedanken weit weg war.
    »Fünf Jahre im Gefängnis«, sagte ich ins Leere und versuchte, es mir vorzustellen. Als er antwortete, klang seine Stimme bitter. »War kein Gefängnis, verdammt. War ein Käfig mit Lehmboden, zweieinhalb Meter breit. Fünf Jahre, Mann. Zweimal im Monat ließen sie mich raus. Die restliche Zeit konnte ich nur schlafen, scheißen oder auf und ab gehen. Meistens ging ich auf und ab. Vier Schritte und kehrt. Vier Schritte und kehrt.« Er sah mich an. »Ich kann enge Räume nicht aushalten, Work. Deshalb laufe ich durch die Gegend. Wenn die Wände heranrücken, gehe ich raus. Wissen Sie, weil ich es damals nicht konnte« — er deutete mit seinen verstümmelten Händen auf die Bäume, den Himmel, auf alles. »Sie werden nie verstehen, was das bedeutet.« Er schloss die Augen. »So viel Platz.«
    Ich nickte, aber ich dachte, es könnte doch verdammt gut sein, dass ich es eines Tages erfahren würde.
    »Warum erzählen Sie mir das?«, fragte ich ihn.
    Er öffnete die Augen, und ich sah, dass er nicht verrückt war. Gefoltert und gequält, aber nicht verrückt.
    »Ich habe ein Problem mit Autorität«, sagte er. »Verstehen Sie? Ich ertrage den Anblick einer Uniform nicht. Und die Cops Sie behandeln mich nicht gerade mit Liebe und Respekt.« Ein Grinsen spaltete sein klumpiges Gesicht. »Ich kann mit den Cops nicht sprechen. Ich mach's nicht. Verstehen Sie?«
    Das verstand ich, aber ich kam nicht mit. Was hatte das alles mit mir zu tun? Ich fragte ihn. Er antwortete nicht gleich. Stattdessen wandte er sich ab und ging weiter. Ich lief ihm nach.
    »Sie sehen, wie ich gehe«, sagte er. »Die ganze Zeit. Jederzeit.
    Bei Tag und bei Nacht. Egal. Die Wände rücken heran, und ich gehe, weil ich muss.«
    Wir bogen nach rechts in eine adrette Straße ein, in der jedes Haus seinen eigenen Charme hatte. Vor einem blieb Max stehen.
    Es war ein kleines Cottage mit einem grünen Rasen, zu beiden Seiten durch eine Hecke von den Nachbargrundstücken getrennt.
    Das Haus war gelb und hatte blaue Fensterläden, und vorn auf der Veranda standen zwei Schaukelstühle. Am steinernen Kamin war ein Spalier, an dem Rosen hinaufrankten. Ich sah zu Max auf und merkte plötzlich, wie groß er war.
    »Ich rede mit Ihnen, weil ich nicht zur Polizei gehen will.«
    Meine Frustration war mir offenbar anzusehen, denn er nahm seine Mütze ab und kratzte sich in seinem verfilzten Haar. »Er wurde in der Nacht nach Thanksgiving ermordet, nicht wahr?
    Es regnete.«
    Ich nickte und hatte plötzlich ein seltsames Gefühl in der Magengrube.
    »Und sie haben die Leiche in der Towne Mall gefunden, in dem leer stehenden Einkaufszentrum unten an der Interstate? Wo der Bach unter dem Parkplatz durchfließt?«
    »Was...«, begann ich, doch er reagierte nicht. Es war, als redete er mit sich selbst, aber er sah mich dabei mit so heißen Augen an, dass ich es fühlen konnte.
    »Ich erzähle Ihnen die Geschichte, damit Sie es verstehen. Es ist wichtig.«
    »Was ist wichtig?«
    »Ich erzähl's Ihnen, weil ich nicht glaube, dass Sie den Mann umgebracht haben.«
    Das Gefühl in meinem Magen dehnte sich aus. Hitze strömte in meine Glieder, und meine Finger kribbelten. »Was sagen Sie da?«
    »Ich laufe dauernd durch die Gegend«, sagte er. »Manchmal an den Gleisen entlang. Manchmal durch den Park.« Er schwieg kurz. »Manchmal an der Interstate.« Ich merkte, dass ich seinen Unterarm gepackt hatte. Hart und sehnig fühlte er sich an unter dem glatten Plastik. Er spürte es gar nicht. »Ich erinnere mich an diese Nacht, weil es geregnet hat und weil es die Nacht nach Thanksgiving war. Es war spät, schon nach Mitternacht. Und ich sah die Autos vor der Mall. Da sind nachts nie Autos. Es ist dunkel da. Ein, zwei Penner vielleicht, ein paar Junkies,

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