Der König der Lügen
unbekannt.
Irgendwann war ich am Park. Mein Haus stand vor mir wie das eines Fremden. Es leuchtete im geisterhaften Licht und ragte höher als sonst in den stahlgrauen Himmel. Die Cops waren auch hier, mindestens ein Dutzend, und meine Nachbarn hatten sich zum Schlachtfest versammelt, genau wie meine Kollegen. Innerhalb der nächsten Stunde würde es sich in der ganzen Stadt herumgesprochen haben. Vor meinem geistigen Auge sah ich die schockierten, ungläubigen Gesichter, aber die Grundströmung wahrer Emotionen würde auch da sein, das dunkle Entzücken über den Zusammenbruch eines anderen. Sie würden tratschen, und am Ende würde Ezra als der heldenhafte Märtyrer dastehen, als schwer arbeitender, brillanter Rechtsanwalt, der seine Familie aus armen Verhältnissen nach oben gebracht hatte, nur um zuletzt diesen Lohn zu empfangen. Ich sah es vor mir. Ich hatte ihn wegen des Geldes ermordet.
Ich sah die Polizei vor mir, die Polizei in meinem Haus. Ich sah Mills vor mir, wie sie meine Sachen durchwühlte, meine Schubladen, meinen Schreibtisch. Wie sie in meinen Schrank spähte, unter mein Bett, auf meinen Dachboden. Nichts würde unangetastet bleiben, dafür würde Mills sorgen. Mein Leben würde bloßgelegt werden, etikettiert und eingetütet. Ich kannte diese Leute, verdammt! Und jetzt wussten sie Dinge über mich, die niemanden etwas angingen außer mir. Was ich aß. Was ich trank. Welche Zahnpasta ich benutzte. Sie kannten die Unterwäsche meiner Frau. Unsere bevorzugte Verhütungsmethode. Das alles machte mich stinkwütend, und so fuhr ich zum Haus, statt wegzufahren. Barbara war da; sie lief in der Einfahrt auf und ab, panisch und verzweifelt.
»Gott sei Dank«, sagte sie. »Oh, Gott sei Dank. Ich habe versucht, dich anzurufen. Ich habe versucht...«
Aus alter Gewohnheit nahm ich sie in den Arm und spürte ihre Ratlosigkeit, aber sonst nichts. »Tut mir leid. Ich war im Gericht. Mein Handy war abgeschaltet.«
Sie fing an zu schluchzen, und ihre Stimme klang gedämpft an meiner Brust. »Sie sind schon seit Stunden hier, Work. Sie durchwühlen alles. Und sie nehmen Sachen mit! Aber sie sagen mir nicht, was.« Mit weit aufgerissenen Augen wich sie zurück. »Tu was! Du bist doch Rechtsanwalt, um Gottes willen. Tu etwas!«
»Haben sie dir einen Durchsuchungsbefehl gezeigt?«, fragte ich.
»Ja, sie haben mir irgendwas gezeigt. Ich weiß nicht, was es war.«
»Dann kann ich nichts tun. Tut mir leid. Ich finde es genauso scheußlich wie du.« Ich wollte sie wieder in den Arm nehmen und ihr geben, was ich konnte, aber sie stieß mich zurück, und ihre Hände schlugen hart gegen meine Brust.
»Verdammt noch mal, Work. Du bist zu nichts zu gebrauchen! Ich schwöre bei Gott, Ezra hätte so etwas niemals zugelassen. Er hätte so weit über allem gestanden, dass die Polizei niemals gewagt hätte, ihn zu verärgern!« Sie wandte sich ab und schlang die Arme um sich.
»Ich bin nicht mein Vater«, sagte ich und meinte es in mehr als einer Hinsicht.
»Da hast du verdammt recht!«, fauchte Barbara und deutete auf die versammelten Zuschauer. »Sie werden einen Riesenspaß haben. Das kann ich dir sagen.«
»Scheiß auf sie«, sagte ich.
»Nein, scheiß auf dich, Work. Das ist unser Leben. Mein Leben. Hast du eine Ahnung, was das bedeutet? Ja?«
»Ich glaube, ich weiß besser als du, was es bedeutet.« Aber sie hörte mich nicht. »Hör zu, Barbara. Sie tun das hier mit uns oder ohne uns. Es gibt keinen Grund, hierzubleiben. Ich bringe dich irgendwohin. Ich gehe ins Haus und versuche, ein paar von deinen Sachen zu holen. Okay? Du musst dir das nicht ansehen. Wir gehen in ein Hotel.«
Sie schüttelte schon den Kopf. »Nein. Ich gehe zu Glena.«
Die flüchtige Nächstenliebe, die ich für meine Frau empfunden hatte, verflog, und mich fröstelte. »Zu Glena«, sagte ich. »Natürlich.«
Sie sah mich verzweifelt an. »Morgen, Work. Morgen werden wir reden, aber jetzt muss ich hier weg. Tut mir leid.« Sie wandte sich ab. Wie auf ein Stichwort ertönte eine Hupe, und ich sah Glena Wersters schwarzen Mercedes unten am Randstein. Als meine Frau sich wieder umdrehte, dachte ich, sie habe es sich anders überlegt.
»Schaff das hier aus der Welt, Work.« Winterkälte lag in ihrer Stimme. »Schaff es aus der Welt. Ich ertrage es nicht.« Sie wollte sich wieder abwenden.
»Barbara ...« Ich trat auf sie zu.
»Ich komme morgen wieder. Bis dahin lass mich bitte in Ruhe.«
Ich sah ihr nach, wie sie die Einfahrt hinunterging
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