Der König der Lügen
Neuigkeit.«
Ich wusste immer, wann ich Ärger zu erwarten hatte.
»Nämlich?«
»Ich weiß keine Einzelheiten, okay? Aber es heißt, sie hätten in Ihrem Haus etwas Belastendes gegen Sie gefunden.«
»Das kann nicht sein.«
»Ich sage nur, was ich gehört habe.«
»Aber... Sie müssen doch noch mehr wissen.«
»Eigentlich nicht, Work. Nur dass Mills fast einen Orgasmus gekriegt hat. Und das ist ein wörtliches Zitat von meinem Informanten.«
Ich dachte an all die Leute, die in meinem Haus gewesen waren, seit Ezra verschwunden war, an Partys, Dinners und Gelegenheitsbesuche. Jean war ein- oder zweimal da gewesen, Alex auch. Herrgott, die halbe Stadt war irgendwann in den letzten achtzehn Monaten durch die Tür gegangen. Wovon zum Teufel redete Tara da?
»Sie verschweigen mir doch nichts, oder?«, fragte ich. »Es ist wichtig.«
»Ich habe Ihnen alles erzählt, was ich weiß. Das war die Abmachung.« Wieder atmete sie tief aus, und ich wusste, dass sie noch etwas in petto hatte. »Haben Sie mir denn alles erzählt?« , fragte sie schließlich.
»Was wollen Sie wissen?«
»Es läuft immer wieder auf den Revolver hinaus, Work. Die brauchen die Mordwaffe. Ist Ihnen dazu noch was eingefallen?«
Ich sah Max' Gesicht vor mir und fühlte die klamme Luft in dem Tunnel. Ich roch das Gemisch aus Schlamm und Benzin und bekam plötzlich keine Luft. Einen Augenblick lang hatte ich nicht mehr daran gedacht.
»Immer noch keine Spur«, sagte ich schließlich.
»Möchten Sie sich dazu äußern? Ich würde gern auch aus Ihrer Sicht darüber schreiben.«
Ich dachte an Douglas. »Das wäre übereilt«, sagte ich.
»Rufen Sie mich an, wenn Sie es sich anders überlegen.«
»Sie werden die Erste sein.«
»Sie meinen, die Einzige.«
»Genau.«
Sie schwieg, und fast konnte ich den Rauch riechen. Sie rauchte Mentholzigaretten. »Hören Sie«, sagte sie, »ich bin nicht wirklich so ein kaltes Biest. Aber nach dreißig Jahren in diesem Job habe ich das eine oder andere gelernt — beispielsweise, mich niemals emotional in die Storys, an denen ich arbeite, verwickeln zu lassen. Das ist nichts Persönliches. Ich muss einfach Abstand halten. Ist eine Frage der Professionalität.«
»Seien Sie beruhigt. Sie sind sehr professionell«, sagte ich. »Das war jetzt nicht angebracht.«
»Vielleicht nicht. Aber ich habe das Gefühl, ich bin heute umgeben von Profis.«
»Es wird sich alles aufklären«, sagte sie, doch die Wahrheit kannten wir beide: Immer wieder kamen Unschuldige ins Gefängnis, und gute Menschen bluteten genauso rot wie alle andern.
»Alles Gute«, sagte sie, und in diesem Moment klang es, als meinte sie es ehrlich.
»Ja. Ihnen auch.«
Die Leitung war tot, und ich legte den Hörer auf die Gabel. Plötzlich war die ganze Sache nicht mehr so klar. Warum war Ezra in jener Nacht in das verlassene Einkaufszentrum gegangen? Seine Frau war gerade gestorben. Seine Familie brach auseinander. Wer hatte ihn angerufen, und was war bei diesem gedämpften Gespräch gesagt worden? Es war nach Mitternacht gewesen, Herrgott noch mal. War er zuerst in die Kanzlei gefahren, und wenn ja, warum? Mein Vater hatte einen schwarzen Lincoln Town Car gefahren; Max' großer dunkler Wagen musste also seiner gewesen sein. Aber wem gehörte der andere? Jean hatte ein dunkles Auto, wie es tausend andere Leute in der Stadt auch hatten. Hatte ich mich geirrt? Konnte es einen anderen Grund geben, weshalb mein Vater ermordet worden war? Ich wandte mich einer hässlichen Realität zu, vor der ich zurückgescheut war, weil ich ihr einfach nicht ins Gesicht hatte sehen können. Das alte Einkaufszentrum war weniger als eine Meile weit entfernt. Inzwischen war es fast vollständig abgerissen, aber der Parkplatz war noch unberührt, ebenso wie der niedrige, klamme Tunnel, der darunter hindurch führte. Wenn Max recht hatte, wenn der Mörder die Waffe in den Gully geworfen hatte, dann wäre sie noch da, läge an diesem düsteren Ort wie die Erinnerungen, die meine Träume besudelt hatten — wenn nicht mein ganzes Leben. Ich würde dorthin zurückkehren müssen, um das Vermächtnis des letzten Atemzugs meines Vaters anzutreten. Und ich wusste nicht, ob ich dazu fähig war. Doch mir blieb keine Wahl. Wenn es Ezras Revolver wäre, würde ich es wissen. Dann könnte ich ihn beseitigen, damit Mills ihn niemals gegen Jean verwenden könnte. Und wenn es nicht seiner wäre? Wenn ich mich durch irgendein Wunder geirrt hatte und meine Schwester gar nicht
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