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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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passiert?«
    Rasselnde, erstickte Atemzüge.
    »Wo bist du?«, fragte ich. »Bist du zu Hause?«
    Wieder sagte sie meinen Namen. Ein Fluch. Ein Segen. Ein Flehen. Vielleicht alles in einem. Dann hörte ich eine zweite Stimme. Alex. Weit im Hintergrund.
    »Was machst du da, Jean?« Schritte dröhnten auf dem Holzfußboden, wurden schneller, lauter. »Mit wem sprichst du?« Jean antwortete nicht. Sie hörte sogar auf zu atmen. »Mit Work, nicht wahr?« Alex' Stimme wurde lauter und so hart wie der Hörer, den ich umklammerte wie eine Axt. »Gib mir das Telefon. Gib her.«
    Dann war Alex dran, und ich wollte durch die Leitung stürmen und sie verprügeln.
    »Work?«
    »Geben Sie mir Jean wieder! Sofort, verdammt!«
    »Ich wusste, dass Sie es sind«, sagte sie ungerührt.
    »Alex, Sie ahnen nicht, wie ernst ich es meine. Ich will mit meiner Schwester sprechen, und zwar sofort!«
    »Das ist das Letzte, was sie jetzt braucht.«
    »Das haben Sie nicht zu entscheiden.«
    »Jean ist zu aufgebracht. Sie weiß nicht, was sie tut.«
    »Deshalb haben Sie immer noch nicht zu bestimmen!«
    »Wer dann? Sie vielleicht?«
    Ich antwortete nicht, und in diesem Augenblick hörte ich Jean weinen. Mich packte eine furchtbare Hilflosigkeit.
    »Sie wissen, was Sie durchgemacht hat, Alex. Sie kennen ihre Geschichte. Um Himmels willen, sie braucht Hilfe.«
    »Ja, aber nicht von Ihnen.« Ich wollte antworten, doch sie schnitt mir das Wort ab. »Damit das völlig klar ist: Jean ist aufgebracht, weil sie Ihr Bild in der Zeitung gesehen hat, Sie dämliches Arschloch. Schwarz auf weiß, verdächtigt als Mörder Ihres Vaters. Ist es ein Wunder, dass sie sich aufregt?«
    Jetzt war mir alles klar. Ich verstand. Der Artikel hatte Jeans Schuldgefühle verdoppelt. Sie hatte ihren Vater umgebracht, und ihr Bruder nahm die Schuld auf sich. Kein Wunder, dass sie dabei in Stücke ging. Die Möglichkeit mochte ihr in den Sinn gekommen sein — an dem Tag, als sie mit Detective Mills gesprochen hatte —, aber die Realität war etwas anderes, und das drohte sie zu zerreißen. Diese Erkenntnis verschlug mir den Atem. Ich war ratlos, und ich wusste, dass ich ihr mehr schaden als nutzen konnte. Arme Jean. Was musste sie noch alles ertragen?
    »Wenn ihr etwas zustößt, Alex, mache ich Sie dafür verantwortlich.«
    »Ich lege jetzt auf. Kommen Sie nicht her.«
    »Sagen Sie ihr, dass ich sie liebe!«, rief ich, aber Alex war schon weg. Ich legte auf und setzte mich an den Frühstückstisch in der hinteren Ecke meiner Küche. Ich starrte die Wand an, dann ließ ich den Kopf in beide Hände sinken. Alles schien zusammenzubrechen — der Raum, mein Inneres —, und ich fragte mich, wie viel Schmerz dieser Tag noch bringen konnte.

    Als ich den Kopf wieder hob, sah ich den Bourbon. Ich griff danach und trank geradewegs aus der Flasche. Heiß schoss der Alkohol heraus, und ich trank zu viel und verschluckte mich. Meine Kehle brannte; ich schloss die Augen und wischte mir etwas aus dem Gesicht, das sich anfühlte wie Tränen, und da hörte ich ein leises Klopfen an der Glasscheibe in der Tür zur Garage. Erschrocken blickte ich auf und sah Dr. Stokes hinter dem Fenster. Einen Moment lang starrte ich ihn an, dann öffnete er die Tür einen Spalt breit. Er trug ein Jackett aus Leinenkrepp, ein weißes Hemd und Jeans. Sein weißes Haar war säuberlich gekämmt.
    »Ich frage nicht, ob ich störe«, sagte er. »Darf ich reinkommen?«
    Sein Gesicht war mir willkommen — faltig, warmherzig und aufrichtig. Ich nickte. Mit sparsamen Bewegungen trat er ein und schloss den schmalen Türspalt leise hinter sich. Mit dem Rücken zur Tür blieb er stehen und verschränkte die Hände vor dem Gürtel. Sein Blick wanderte durch die Küche, aber es war eine kurze Wanderung. Bei mir verweilte er länger.
    »Wo haben Sie die Gläser?«, fragte er. Er sah würdevoll und elegant aus und absolut gelassen. Ich deutete auf den Schrank. Meiner Stimme traute ich noch nicht. Er kam weiter herein und blieb neben mir stehen. Ich rechnete damit, dass er mir die Hand reichen oder mir auf den Rücken klopfen werde, doch stattdessen nahm er die Zeitung und faltete sie zusammen. Dann ging er weiter. Er stieg über die Scherben meines zerbrochenen Glases hinweg und füllte zwei frische Gläser mit Eiswürfeln. »Sie haben nicht zufällig Ginger Ale?«, fragte er.
    »Unter der Spüle.« Ich stand auf.
    »Bleiben Sie sitzen, Work. Sie sehen ziemlich erledigt aus.« Er kam zum Tisch zurück und goss Bourbon

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