Der König der Lügen
hätte ich nicht abgenommen.
»Zum Teufel mit all der Großzügigkeit!« Es war Tara Reynolds. Sie rief aus ihrem Büro beim Charlotte Observer an. »Mein Chefredakteur kriegt einen Schlaganfall!«
»Wovon reden Sie, Tara ?«
»Haben Sie die Salisbury Post gesehen?« Anders als der Observer erschien sie nachmittags. Wahrscheinlich war sie seit einer knappen Stunde im Handel.
»Nein.«
»Na, Sie sollten sich eine kaufen. Sie sind auf Seite eins, Work, und das ist eine beschissene Ungerechtigkeit. Ich habe mir für diese Story den Arsch aufgerissen. Ich will sie gerade rausbringen, und da kriegt irgendein Idiot von der Post einen Anruf, dass die Polizei in Ihrem Büro ist, und er spaziert einfach hin und macht ein Foto von Ihnen.«
»Tut mir leid, dass ich Ihnen Unannehmlichkeiten mache«, sagte ich kalt.
»>Polizei durchsucht Büro und Wohnung bei Sohn des ermordeten Anwalts<. Das ist die Schlagzeile. Und auf dem Foto stehen Sie mit dem Staatsanwalt vor Ihrer Kanzlei.«
»Das ist vier Stunden her«, sagte ich.
»Hey, gute Nachrichten verbreiten sich schnell. Der Artikel ist kurz. Soll ich ihn vorlesen?«
Also war die Geschichte jetzt amtlich. Fünfzigtausend Leute abonnierten die Post. In vierundzwanzig Stunden würde sie im Observer stehen, und der hatte fast eine Million Leser. Seltsamerweise war ich eher ruhig. Wenn man seinen Ruf verloren hat, werden die Sorgen konkreter: Tod oder Leben, Freiheit oder Gefängnis. Alles andere verblasst daneben.
»Nein«, sagte ich, »Sie sollen ihn nicht vorlesen. Gibt es noch einen Grund, weshalb Sie anrufen — außer dass Sie mir den Tag noch weiter verderben?«
»Ja. Ich möchte, dass Sie mir danken. Denn im Moment bin ich die Einzige, die Ihnen irgendeinen Gefallen tut.«
»Wofür danken?«, fragte ich verbittert.
»Für eine Neuigkeit«, sagte sie. »Mit der gleichen Bedingung wie beim letzten Mal. Sie verraten niemandem, woher Sie es wissen, und ich bekomme die Exklusivstory, wenn alles vorbei ist.«
Ich antwortete nicht gleich. Plötzlich hatte ich rasende Kopfschmerzen. Nichts von all dem würde einfach verschwinden. Nicht von allein.
»Haben Sie noch irgendwas anderes vor?«, fragte Tara sarkastisch. »Wenn ja, sagen Sie es mir gleich, und ich bin weg. Ich muss keine Spielchen spielen.«
»Keine Spielchen, Tara. Ich brauche nur einen Augenblick Zeit. Es war ein langer Tag.«
Offenbar hörte sie die Verzweiflung in meiner Stimme. »Schon gut, ich verstehe. Ich verrenne mich manchmal; das ist der Fluch einer Alpha-Persönlichkeit. Tut mir leid.«
Es klang nicht so, als täte es ihr besonders leid, und als ich antwortete, klangen meine Worte knapp und abgehackt. »Ist okay. Sie benutzen mich. Ich benutze Sie. Kein Grund, es persönlich zu nehmen. Stimmt's?«
»Stimmt genau«, sagte sie ahnungslos. »Hier meine Neuigkeit. Die Polizei hat herausgefunden, warum Ihr Vater in der alten Mall war.«
»Was?«
»Präziser gesagt, sie haben herausgefunden, wie er reingekommen ist.«
»Was soll das heißen?«
»Das Objekt sollte zwangsversteigert werden. Ihr Vater war beauftragt, die Bank zu vertreten. Deshalb dürfte er Schlüssel gehabt haben.«
Das überraschte mich. Ich wusste zwar nicht alles über die Arbeit meines Vaters, aber über diese Sache hätte ich informiert sein müssen, wenn auch nur am Rande.
»Wer war der Eigentümer?«
»Darum kümmere ich mich gerade. Ich weiß nur, dass es eine Investorengruppe war. Ein paar Leute von hier, ein paar von außerhalb. Sie haben die Mall vor ein paar Jahren gekauft, als sie kurz vor dem Zusammenbruch stand, und sie haben Millionen in Renovierungsarbeiten gepumpt, aber keine Mieter gefunden. Sie haben jeden Tag mehr Geld in den Sand gesetzt, bis die Bank den Hahn schließlich zugedreht hat.«
»Gibt's da womöglich einen Zusammenhang?« , fragte ich. »Ermittelt die Polizei in diese Richtung?«
»Das glaube ich nicht.«
»Ist das Ihr Ernst?«, fragte ich empört. »Ezra betreibt die Zwangsvollstreckung gegen ein Multi-Millionen-Dollar-Unternehmen, er wird auf dem Gelände umgebracht, und die Polizei sieht keinen Zusammenhang?«
Ich hörte, wie Tara sich eine Zigarette anzündete, bevor sie antwortete. »Warum sollte sie, Work? Sie hat ihren Täter.« Sie blies den Rauch aus, und ich sah ihre runzligen Lippen vor mir und den leuchtend pinkfarbenen Lippenstift, der in die Fältchen hineinblutete.
»Nein, den hat sie nicht«, sagte ich. »Noch nicht.«
»Tja, das bringt mich zu meiner zweiten
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