Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
in den Bau der Werkstätten ebenso wie in sein hochwertiges Warenlager. Sicher, seine Geschäfte liefen gut, aber seine vornehme Kundschaft ließ sich mit dem Bezahlen viel Zeit. Sie alle benutzten ihren guten Namen, um sich Kredit zu verschaffen. Und so kam es, dass Jonah mit beinah leeren Händen dastand und mit hohen Außenständen, die einzutreiben ihm keine Zeit blieb. Ratlos verschränkte er die Arme auf dem Kassenbuch, bettete die Stirn darauf und schlief erschöpft ein.
     
    Als der Haushalt sich nach dem Kirchgang am Sonntagmorgen zum Frühstück versammelte, war die Stimmung gedrückt und angespannt. Sie sprachen kaum ein Wort. Wie bei den Hillocks, dachte Crispin beklommen. Er wartete, bis Rachel und Meurig hinausgingen, ehe er seinen Mut zusammennahm und fragte: »Was ist passiert, Jonah?«
    Der junge Kaufmann zog die Brauen hoch. »Auf einmal wieder ›Jonah‹?«
    »Ich kann auch ›Sir‹ zu dir sagen. Aber … plötzlich ist alleswieder wie früher. Du kochst ganz still und leise vor dich hin. Man kriegt Angst vor dir, wenn du so bist. Ihr habt gestritten. Stimmt’s nicht? Und als ihr euch nichts mehr zu sagen hattet, habt ihr euch geschlagen.«
    Jonah lachte ohne allen Humor. Streng genommen hatte Crispin Recht: Jonah hatte Rupert in seinem hilflosen Zorn eins auf die Nase gegeben, und anschließend hatte Rupert ihn windelweich geprügelt …
    Er unterdrückte ein Schaudern. Er fühlte sich furchtbar, hatte eine grässliche Nacht hinter sich, vermutlich einen abscheulichen Tag und eine ungewisse Zukunft vor sich und keinen Sinn für die bangen Blicke seines Lehrlings. »Warum gehst du nicht einfach für ein paar Stunden nach Hause?«
    »Warum sagst du mir nicht einfach die Wahrheit?«, konterte der Junge.
    »Noch ein Wort und du fängst dir ein Ding, an das du dich lange erinnerst, auch wenn ich mich kaum rühren kann.«
    »O ja, Sir, das ist eben immer das Einfachste, nicht wahr? Was macht es schon, wenn ich mich lausig fühle, weil Euer fragwürdiges kleines Geschäft, mit dem Ihr mich Rupert abgegaunert habt, in die Binsen gegangen ist? Ich meine, mich hat niemand nach meinen Wünschen gefragt, also wie kommt es nur, dass ich jetzt an allem schuld bin? Was ist nur mit Euch und Eurem Cousin? Warum könnt Ihr nicht sein wie andere Menschen? Was findet Ihr nur daran, immer in Streit und Hader zu leben?«
    Er starrte Jonah noch einen Moment an, aber als er erkannte, dass er keine Antwort bekam, schob er wütend seinen Stuhl zurück, stand auf und ging zur Tür.
    »Crispin.«
    »Was?« Er drehte sich noch einmal um.
    Es ist nicht deine Schuld, wollte Jonah ihm sagen. Es liegt an Rupert und an mir. Ich habe dich ihm abgekauft, das ist wahr, und jetzt hat er mich betrogen, und ich bin am Ende meiner Weisheit und vielleicht sogar verzweifelt. Aber ich habe es nicht getan, um ihm eins auszuwischen, sondern weil ich dich da rausholen wollte. Weil du immer ein guter Freund warst. Doch alles,was er herausbrachte, war: »Du kannst den Gaul nehmen, ich brauch ihn heute nicht.«
    Enttäuscht wandte der Junge sich zur Treppe. »Danke.«
     
    Eine Stunde vor Mittag führte der livrierte Diener Jonah in Martin Greenes vornehme Halle, wo die Familie vor dem Kamin zusammensaß und einem mageren, jungen Dominikaner lauschte, der ihnen eine eigentümliche lateinische Geschichte vorlas von einer Jungfrau, die sich auf der Flucht vor einem hässlichen, lüsternen Unhold in ein Schilfrohr verwandelte. Jonah fragte sich, ob er es vielleicht missverstanden hatte – sein Latein war völlig eingerostet. Aber er hatte immer ein gutes Ohr für Sprachen gehabt und war ziemlich sicher, dass der Mönch »Schilfrohr« gesagt hatte. Und tatsächlich: Der Unhold schnitt das Rohr und machte sich daraus eine Flöte.
    Die Geschichte erschien ihm töricht und fesselte ihn trotzdem auf seltsame Weise. Im Gegensatz zu Adam und Daniel, die wie die meisten Kaufmannssöhne vier oder fünf Jahre eine Stadtschule besucht und dort kein Wort Latein gelernt hatten und sich sichtlich langweilten. Verstohlen vertrieben sie sich die Zeit mit Fingerhakeln. Martin Greene hatte die Augen geschlossen, sodass man meinen konnte, er halte ein vorgezogenes Mittagsschläfchen. Nur Lady Greene und Bernice lauschten dem jungen Pater mit größter Aufmerksamkeit. Bernice’ Lippen waren leicht geöffnet und entblößten ihre Hasenzähne. Sie entdeckte Jonah als Erste. Die Lippen schlossen sich hastig, das Blut schoss ihr in die Wangen, und sie setzte sich so

Weitere Kostenlose Bücher