Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
hinauf. Oben angekommen, keuchte er. Kleine schwarze Punkte flimmerten vor seinen Augen. Er hinkte den Gang entlang zu seiner Tür. Hinter ihm kam Meurig mit einer dampfenden Schüssel, einer Kerze und einem Becher auf einem Tablett die Treppe hinauf. Er stellte es auf den Tisch unter dem linken Fenster in Jonahs geräumigem Schlafgemach und ging ohne ein Wort hinaus. Jonah schloss die Tür und schob den Riegel vor. Der Becher war randvoll mit kühlem Bier. Jonah trank gierig. Er hatte gar nicht gemerkt, wie durstig er war.
Nie hatte sein Bett so einladend ausgesehen. Das tiefe Violett der Vorhänge schimmerte matt und warm, verlockend wie die Haut einer Frau. Annots Haut. Annot stellte verrückte Dinge mit Bettvorhängen an. Sie war so einfallsreich. Und so vollkommen schamlos auf ihre arglose, unschuldige Art. Unwiderstehlich. Er musste lächeln. Er hatte Crispin immer noch nicht von Annot erzählt. Er konnte sich einfach nicht dazu entschließen, denn er wusste, es würde den Jungen hart treffen. Und wenn Crispin seinen Schock überwunden hatte, würde er sich von seinem wohlhabenden Vater vielleicht das nötige Geld borgen und zu ihr gehen. Und das wollte Jonah nicht …
Er ertappte sich dabei, dass seine Gedanken vollkommen abgeschweift waren, fast als wäre er im Stehen eingeschlafen. Aberer konnte sich nicht leisten zu schlafen, weder im Bett noch auf den Beinen. Er konnte schlafen und untergehen oder wach bleiben und versuchen, seine Haut zu retten.
Aus der Truhe neben der Tür nahm er ein Leinenhandtuch, tauchte es in die Wasserschüssel und wusch sich behutsam das Blut vom Gesicht. Jedes Mal, wenn er seine Nase berührte, zuckte der Schmerz bis in die Kopfhaut. Aber das Ergebnis, das er im Spiegel sah, belohnte ihn für seine Mühen. Die äußeren Spuren waren minimal. Eine kleine Schramme von Ruperts Ring auf der rechten Wange, aber die Nase schien weder geschwollen noch gekrümmt. Mit steifen Bewegungen zog er sich aus und begutachtete den Rest. Hier und da hatten sich Blutergüsse auf Oberkörper und Beinen gebildet, die im Kerzenlicht schwarz wirkten. Er sah übel zugerichtet aus, hatte aber wie durch ein Wunder keine weiteren Knochenbrüche. Wenn Rupert ihm keine inneren Organe zerschmettert hatte, sodass er langsam verblutete, ohne es zu merken, dann konnte er wohl getrost davon ausgehen, dass er mit dem Leben davonkommen würde. Und wenn dem so war, wollte er es nicht in Armut, Schande und Unfreiheit verbringen.
Er zog sich wieder an, nahm den Schlüsselbund vom Gürtel und sperrte die kleinere Schatulle auf, die neben der Leinentruhe stand. Als er den schweren, eisenbeschlagenen Deckel endlich aufgeklappt hatte, musste er einen Moment innehalten. Seine Arme fühlten sich an, als habe jemand versucht, sie auszureißen. Es flimmerte wieder vor seinen Augen.
»Das wirst du büßen, Rupert«, sagte er tonlos, und weil es ihm so gut gefiel, sagte er es noch einmal: »Das wirst du mir büßen.«
Rache war Zorn – ira –, eine Todsünde, genau wie der Hochmut. Jonah war lange genug auf der Klosterschule gewesen, um solche Dinge zu wissen. Aber es war ihm gleich. Der Zorn machte ihn hart gegen sich selbst, betäubte ihn beinah, sodass er die schweren Geldbeutel und Bücher fast mühelos aus der Truhe hob. Er trug sie zum Tisch. Dann holte er sich eine Decke vom Bett, wickelte sich hinein, setzte sich auf den Schemel und begannzu zählen und zu rechnen. Am Dienstag war der Monatsletzte, sein spätester Liefertermin. Der morgige Sonntag fiel als Geschäftstag aus. Blieben also zwei Tage, um fünfundzwanzig Ballen Beverly Brown zu beschaffen. Vermutlich konnte er, wenn Meurig und Crispin ihm halfen, fünfundzwanzig Londoner Tuchhändler ausfindig machen, die ihm einen Ballen des preiswerten Wollstoffs verkaufen konnten. Aber zu Endabnehmerpreisen. Und es würde nicht einmal bis Montagmittag dauern, ehe es die Spatzen von den Dächern pfiffen, dass Jonah Durham verzweifelt auf der Suche nach Beverly Brown war. Die Preise würden in die Höhe schnellen. Realistisch musste er wohl davon ausgehen, dass dieser kleine Rückschlag ihn hundert Pfund kosten würde. Damit würde ihm der wunderbare Kontrakt, um den Elia ihn so beneidet hatte, einen saftigen Verlust einbringen, selbst wenn er die vierzig Pfund, die Rupert ihm gestohlen hatte, herausrechnete. Das war schon schlimm genug. Aber er hatte keine hundert Pfund. Und das war eine Katastrophe. Sein Geld steckte in seinem Geschäft; er hatte viel investiert,
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