Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
Einfluss nehmen können, wenn ein bestochener Matrose den Flamen vor Gericht bezichtigte, ihn bestohlen zu haben. Martin Greene? Jonah glaubte, dass sein einstiger Pate ihm in dieser Sache beistehen würde, obwohl sie sich überworfen hatten, denn Greene war ein grundanständiger Mann. Aber auch er hätte nichts ausrichten können. Jonah musste erkennen, dass er ganz allein dastand.
Versonnen blickte er auf seinen kleinen, einbeinigen Verbündeten hinab und erklärte ihm, was er brauchte.
Der Junge hatte in seinem kurzen Leben offenbar schon zu viel gesehen, um sich noch über irgendetwas zu wundern. Er nickte vollkommen ungerührt. »Kriegt Ihr alles von meiner Großmutter. Für einen Shilling.«
Jonah sah ihn ungläubig an. »Wenn ich zufrieden bin, bekommt sie einen Penny. Schließlich kriegt sie das Zeug ja wieder.«
»Einverstanden.«
Jonah saß auf und streckte dem Jungen die Hand entgegen. Der Kleine ergriff sie, kletterte mit Jonahs Hilfe vor ihm in den Sattel und ritt mit einem stolzen Grinsen und unter den neidischen Blicken der anderen Bettlerkinder davon.
Die Tonne war ein Gefängnis auf dem Cornhill, dem höchsten Hügel der Stadt, auf dem der Londoner Getreidemarkt abgehalten wurde. Praktischerweise stand gleich am Markt der Pranger für betrügerische Händler und nicht weit entfernt das Gefängnis, welches seinen Namen von der eigentümlichen Form des hölzernen Hauptgebäudes hatte, die in der Tat einem aufrecht stehenden Weinfass glich. Ursprünglich war die Tonne erbaut worden, um verdächtiges Gelichter und Trunkenbolde einzusperren, die des Nachts auf den Straßen der Stadt aufgegriffen wurden, doch da alle Londoner Gefängnisse ständig überfüllt waren, wurden hier inzwischen Straftäter aller Art bis zu ihrer Aburteilung verwahrt.
Auf ein dumpfes Klopfen hin öffnete sich eine Klappe in der Pforte, und ein feistes, unrasiertes Gesicht erschien.
»Was gibt es? Nanu, was willst du denn hier, Mütterchen?«
»Der Büttel sagt, mein Sohn ist hier eingesperrt. Ron Atwood«, krächzte das alte Weib. »Ein verdammter Taugenichts, das ist er, mein Sohn, vom ersten Tag seines Lebens an gewesen, aber ich bringe ihm sein Abendessen.« Mit einer gichtgekrümmten, von Lumpen umwickelten Hand hielt sie einen löchrigen Weidenkorb hoch. »Was bleibt einer Mutter übrig?«
Der Mann seufzte mitfühlend und öffnete die Pforte. Dann streckte er die Hand aus. »Ich kenne die Kerle nicht mit Namen, die ich hier hab, aber ich sorge dafür, dass er es bekommt«, versprach er. Vermutlich meinte er es sogar ernst. Der Wärter der Tonne, ein ehemaliger Zimmermann, der als Bogenschütze im Dienst des Earl of Lancaster gestanden hatte, genoss unter denGaunern der Stadt einen guten Ruf. Der Stadtrat bemühte sich, solche Männer als Wärter der städtischen Gefängnisse zu verpflichten, die genug Autorität besaßen, um das Gesindel zur Räson zu bringen, das sie hüten mussten, die aber keinen Hang zur Grausamkeit hatten. So war sichergestellt, dass die ihnen ausgelieferten Häftlinge nicht in unangemessener Weise geschunden wurden. Längst nicht alle Wärter und Kerkermeister erfüllten diese Anforderungen. Es war eine schlecht bezahlte Arbeit, und viele pressten ihren Gefangenen mit schaurigen Drohungen die letzten Pennys ab und machten diese Drohungen auch wahr, wenn ein armer Tropf nicht zahlen konnte. Doch »Winfred von der Tonne« gehörte nicht zu dieser Sorte.
Als die alte, gebeugte Frau sich nicht rührte, machte er eine ungeduldige, wedelnde Bewegung. »Na los, gib her, ich werd deinem Ron seine Suppe schon nicht wegessen.«
Sie legte eine Hand ans Ohr. »Was sagst du? Ich hör nicht gut.«
Er seufzte verstohlen, ehe er brüllte: »Ich kann dich nicht reinlassen, aber ich bring ihm sein Essen!«
Hastig, voller Argwohn zog sie den Korb zurück. »Ich muss ihn aber sehen. Er soll nicht essen, ohne zu hören, was seine alte Mutter zu leiden hat wegen ihm.«
Winfred von der Tonne stemmte die Hände in die Seiten und betrachtete das alte Weib amüsiert. Ihr Rücken war so krumm, dass ihr Kinn praktisch auf die Brust gedrückt wurde. Schmutzig graues Tuch umschloss Stirn und Kinn, im Schatten des löchrigen Kapuzenmantels erahnte er nur einen zahnlosen Mund. Aber sie wirkte entschlossen und energisch. Ron Atwood würde das Brot in Gesellschaft seiner Mutter gewiss bitter schmecken. Geschah ihm recht. »Na schön, Mütterchen. Gib mir einen halben Penny, und ich hab nichts gesehen.«
Sie nickte
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