Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
unterbrach sie sanft. »Aber lass uns noch ein bisschen warten, Liebster.«
»Worauf?«, knurrte er ungeduldig.
»Mach die Augen auf und sieh selbst«, schlug sie vor, mit diesem verheißungsvollen Lächeln in der Stimme, das ihm immer einen Schauer freudiger Erwartung über den Rücken jagte. Das war das Magische an diesem Haus, das war es, was ihn so süchtig machte: Seit zwei Monaten kam er jetzt beinah jeden Abend her, aber hier wurde immer etwas Neues geboten, erlebte er immer Dinge, die er noch nicht kannte.
Als er die Augen aufschlug, sah er, dass ein Mann und eine Frau den Raum betreten hatten und sich vor der »Tafel« verneigten. Beide trugen Tiermasken, deren Abscheulichkeit Rupert ein wenig erschreckte, und nichts sonst.
Gervais of Waringham spähte durch das Guckloch in der Wand und verzog angewidert das Gesicht. Was der Kerl und das Mädchen in den fratzenhaften Masken miteinander taten, sollte wohl tierhaft anmuten. Aber Gervais war auf dem Land aufgewachsen; er wusste, dass Tiere so nicht miteinander umgingen. So etwas konnten sich nur Menschen ausdenken.
»Du meine Güte, da kann einem ja alles vergehen«, brummte er. Um nichts in der Welt hätte er es zugegeben, aber er war schockiert. Er fand das eigentümliche Schauspiel obszön, fühlte sich in unbestimmter Weise beleidigt. Doch die Gäste im Badesaal, die vermutlich alle aufgrund ihrer besonderen Neigungen zu diesem Fest geladen worden waren, fanden die Vorführung offenbar ausgesprochen anregend und fingen sehr bald an, sie nachzuahmen. »Sodom ist ein Kloster dagegen.«
Sein Freund Dermond saß auf der Liege, mit welcher das kleine Gemach ausgestattet war, hielt ein zierliches, dunkelhaariges Mädchen im Arm und fütterte es mit dem Zuckerwerk, dasein dienstbarer Geist ihnen gebracht hatte. »Dann wende den Blick ab, teurer Freund, auf dass deine unsterbliche Seele keinen Schaden nehme«, riet er. Er selbst verspürte im Augenblick kein Verlangen, einmal in den Saal zu schauen, wenngleich man von hier oben sicher einen guten Überblick hatte. Dieser geheime kleine Raum war eigens für solche Kunden erbaut worden, die es anregend fanden, andere zu beobachten. Er befand sich im ersten Obergeschoss neben dem hohen Badesaal, sodass das Guckloch – vom Saal aus betrachtet als Delfinauge getarnt – hoch oben in der Wand lag. Aber Dermond fand es viel anregender, das hübsche Mädchen an seiner Seite zu betrachten.
»Wo bleibt Bardi?«, fragte er. »Es wird spät.«
»Und Jonah ist überhaupt nicht erschienen«, bemerkte Gervais und wandte sich zögernd, aber doch erleichtert von dem ausschweifenden Schauspiel ab. »Das sieht ihm gar nicht ähnlich.«
»Macht doch nichts. Wir wissen ja, welcher sein Vetter ist«, entgegnete Dermond versöhnlich. »Die Ähnlichkeit ist kaum zu übersehen.«
Sie hatten sich heute Abend im Haus der Freuden verabredet, um die komplizierte Falle, die Jonah seinem Vetter stellte, einen Schritt weiterzubringen. Da sie schon einmal hier waren, hatten die beiden Ritter die Gelegenheit genutzt und sich die Zeit mit der kleinen Schwarzhaarigen vertrieben. Sie hatten sich die Hure geteilt, wie sie es oft taten, denn Waringham war nur ein kleiner Landedelmann, Dermond nichts weiter als ein landloser Ritter, und sie besaßen nicht viel Geld. Aber wenn einer von ihnen mit dem Mädchen in die Kissen sank, ging der andere vor die Tür und wartete draußen. Das war schließlich völlig normal, alles andere hätte Gervais unschicklich gefunden. Vielleicht war er ein prüder Landjunker. Aber lieber das als ein Vieh wie die Kerle da draußen.
Es klopfte leise. Die Hure bedeckte ihre Brust, die Dermond gerade aus dem Kleid geschält hatte, und Gervais ging zur Tür und öffnete.
Der gut aussehende Diener, der sie eingelassen hatte, verneigtesich knapp. »Der Gentleman, den die Gentlemen erwarten, Sir.«
Gervais verkniff sich ein Grinsen über diese alberne Vermeidung von Namen. »Hast du die Börse?«
Cupido reichte ihm einen klimpernden Beutel, zögerte und räusperte sich nervös. »Sir …?«
»Ja?«
»Verzeiht mir, dass ich das sage, aber so etwas verstößt ganz und gar gegen die Regeln unseres Hauses. Wenn es herauskommt, wird meine kleinste Sorge sein, meine Arbeit zu verlieren. Seid so gut, sagt Eurem Freund, ich habe das für Annot getan und werde es nie wieder tun.«
Gervais nickte ungeduldig. »Ja, ja, mach dir nicht ins Hemd. Es kommt nicht heraus, es wird auch keinen Ärger geben, wir haben alles genau
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