Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
blaues Leinenkleid, und ein grau verwaschenes Tuch bedeckte ihren Kopf. Ihre Hände waren groß und schwielig von harter Arbeit.
» Ihr seid Jonah Durham?«, fragte sie ungläubig und ohne Gruß. Sie sprach französisch mit einem merkwürdigen Akzent, sodass auch er Schwierigkeiten hatte, sie zu verstehen.
»Der bin ich.«
»Aber Ihr seid so … jung.«
Er hob die Schultern. »Das gibt sich schon noch. Was kann ich für Euch tun?«
»Ich …« Sie atmete tief durch. »Mein Name ist Maria Vjörsterot. Wir kommen aus Cambrai und wollten für Euch arbeiten. Aber kaum waren wir von Bord gegangen, kamen zwei Männer des Sheriffs und haben meinen Mann verhaftet und … ich weiß nicht, warum, oder wohin sie ihn gebracht haben.«
Jonah erkannte, dass sie mit den Tränen kämpfte, und sie schien leicht zu schwanken. Er zog einen Schemel heran und machte eine einladende Geste. Dankbar sank sie darauf nieder.
»Crispin, geh und hol einen Schluck Bier«, sagte Jonah auf Englisch. »Und du sattelst Grigolet, Meurig.« Er wartete, bis er mit seiner Besucherin allein war. Dann lehnte er sich ihr gegenüber ans Schreibpult und sah sie an. »Besser, du erzählst der Reihe nach. Wer hat euch zu mir geschickt?«
»Ein reicher Tuchhändler aus Gent, für den wir oft gearbeitet haben. Er ist ein Freund von Jean de Hainault, dem Onkel Eurer Königin. Er kam zu uns und sagte, die Königin wolle Landsleute nach England holen, Weber und Färber, die hier arbeiten sollen. Das ist doch richtig, oder?«, fragte sie angstvoll.
Jonah nickte. »Aber bislang wollte niemand.«
»Wir wollten auch nicht«, sagte sie unverblümt. »Aber wir hatten Schulden. Letzten Winter ist uns das ganze Haus abgebrannt, mitsamt Webstuhl und Wolle.« So etwas war ein Schlag, von dem viele kleine Handwerker sich niemals erholten, wusste Jonah. Oft arbeiteten sie für den Rest ihrer Tage als schlecht bezahlte Tagelöhner für diejenigen, denen sie Geld schuldeten. »Es war nicht unsere Schuld«, erklärte sie, und der Trotz in ihrer Stimme gefiel ihm. »Aber wer fragt danach?«
»Und als euch das Wasser bis zum Halse stand, hatte England auf einmal etwas sehr Verlockendes«, mutmaßte er.
Sie nickte ohne alle Verlegenheit. »Wir haben ein paar Sachen gepackt und sind auf und davon, mein Mann, die Kinder und ich. Wir haben gedacht, Philippa wird es schon richten – Eure Königin, meine ich. Sie hat ein Herz für die einfachen Leute, das weiß jeder in Hainault und ganz Flandern, und siewird für diejenigen sorgen, die sie in die Fremde lockt, dachten wir. Aber dann am Hafen …« Sie verstummte. Tränen rannen über ihr Gesicht, und sie wandte den Kopf ab und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
Crispin kam zurück, sah mit besorgten Blicken von Jonah zu der fremden Handwerkersfrau und streckte ihr den Becher entgegen. Sie nahm ihn, lächelte dem Lehrling gequält zu und trank durstig.
Jonah dachte nach. »Mit welchem Schiff seid ihr gekommen?«
»Auf einer englischen Kogge«, antwortete sie.
»Weißt du den Namen noch?«
Sie dachte angestrengt nach, dann fiel es ihr ein. »Alexander.«
Jonah nickte. Das passte. Die Alexander gehörte Adam Burnell, dem ehemaligen Gildewächter der Tuchhändler, der zu Jonahs treuesten Widersachern zählte. Er wandte sich an Crispin. »Kannst du Französisch?«
Der Junge zuckte mit den Schultern. »Ein wenig.«
»Gut. Kümmere dich um sie, ja? Wie heißt dein Mann, Maria?«
»Vjörsterot«, antwortete sie verblüfft.
Er lächelte. »Das kann hier kein Mensch verstehen, geschweige denn aussprechen. Hat er einen Vornamen?«
Trotz ihrer furchtbaren Angst um Leib und Leben ihres Mannes und die Zukunft ihrer Kinder fielen Maria die Grübchen auf, die sich plötzlich in Jonahs Mundwinkeln zeigten, und unwillkürlich erwiderte sie sein Lächeln. »Niklas.«
»Schon besser.« Jonah verließ das Kontor. Am Tor wartete Meurig mit dem Wallach. Jonah saß auf, ritt auf die Straße hinaus und galoppierte die Ropery hinunter.
»Brich dir nicht den Hals, Mann«, murmelte Meurig ihm hinterher, schloss das Tor und ging zum Tuchlager zurück. Rachel war auch schon dort. Crispin machte alle miteinander bekannt und berichtete Meurig und Rachel die traurige Geschichte, die Maria inzwischen auch ihm erzählt hatte. Das war nur langsam vonstatten gegangen, denn Crispins Französischwar sehr mäßig und ihr Akzent tatsächlich höchst merkwürdig. Aber er hatte alles Wesentliche verstanden.
»Frag sie, wo ihre Kinder jetzt
Weitere Kostenlose Bücher