Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
sind«, forderte Meurig ihn auf. »Wir sollten sie herholen.«
Crispin übersetzte, und die Webersfrau erklärte, sie habe sie in einer Schenke am Hafen bei der Wirtin gelassen, die ihr freundlich und hilfsbereit erschienen war. Keiner der drei Einheimischen ließ sich seinen Schrecken anmerken, aber Meurig sagte ruhig auf Englisch: »Wir sollten sie schleunigst da wegholen, ehe diese hilfsbereite Wirtin die Kleinen an den Erstbesten verscherbelt. Sag ihr, sie soll mich hinführen, Crispin. Aber so, dass sie keine Angst kriegt.«
Jonah ritt zur Guildhall an der Aldermanbury im Nordteil der Stadt, wo der Lord Mayor und der Stadtrat ihre Versammlungen abhielten und Woche für Woche über die vielen Übeltäter von London zu Gericht saßen. Dieses Rathaus war ein schlichtes, hölzernes Gebäude, das beinah schäbig wirkte und aus allen Nähten zu platzen drohte. Allein sein Alter verlieh ihm Ehrwürdigkeit, denn es hatte schon zu Zeiten von König Edward dem Bekenner gestanden, vor der Eroberung vor rund dreihundert Jahren. Ständig gehe in dieser Stadt irgendein Haus in Flammen auf, hatte Jonah Bürgermeister Pulteney einmal sagen hören, also warum traf es nicht auch einmal die Guildhall, damit sie endlich einen guten Grund hätten, sie zu erneuern? Dieser baufällige Holzschuppen sei ein Schandfleck für eine so große Stadt mit so vielen wohlhabenden Bürgern. Wie jeder neu gewählte Lord Mayor vor ihm hatte auch Pulteney versprochen, bei den Zünften und Gilden Geld zu sammeln und einen Neubau auf den Weg zu bringen. Wie jeder andere vor ihm hatte er sein Versprechen bald vergessen. Schließlich waren die Londoner Stadtväter Kaufleute, und für einen guten Kaufmann war es nichts als Verschwendung, etwas zu ersetzen, das seinen Zweck noch erfüllte, nur weil es ein bisschen abgenutzt aussah …
Heute war kein Gerichtstag, daher lungerten nur wenige Tagediebe vor dem Gebäude herum. Jonah ritt an ihnen vorbei,ignorierte ihre Debatten bezüglich der Qualität seines Pferdes oder seiner Kleidung und hielt im Schatten einer Birke, die vor der Guildhall wuchs.
Ein vielleicht achtjähriger Junge, dessen linkes Bein am Knie endete, kam behände auf zwei grob gezimmerten Krücken herbei. »Gebt Ihr mir einen Farthing, Sir? Dann pass ich gut auf Euren Gaul auf.«
»Tu das, und wenn ihr beide bei meiner Rückkehr noch hier seid, kriegst du einen halben Penny.«
Mit einem seligen Lächeln, das eine Zahnlücke entblößte, strich der Junge Grigolet über die gewellte Mähne. »Abgemacht, Sir.«
Vor dem Eingang zur Guildhall standen zwei bewaffnete Männer. Jonah trat zu ihnen. »Heute früh wurde ein flämischer Weber, der mit der Alexander gekommen ist, festgenommen. Angeblich auf Befehl des Sheriffs. Könnt ihr mir irgendetwas darüber sagen?«
»Welchen Sheriffs, Sir?«, fragte der Ältere von beiden höflich.
»Das wüsste ich auch gerne.« Anders als jede andere Stadt oder Grafschaft in England hatte London zwei Sheriffs. »Brembre, nehme ich an.« Lucian Brembre war ein Freund von Adam Burnell.
Der Soldat wies einladend auf die Tür. »Er ist da drin, Sir. Er spricht mit ein paar Gentlemen, aber geht nur hinein.«
Bei den Gentlemen handelte es sich um vier Aldermen. Jonah kannte sie nicht, doch ihre Amtsketten verrieten ihre Zugehörigkeit zum Stadtrat. Sie debattierten mit dem Sheriff über irgendwelche Unregelmäßigkeiten bei der Nachtwache im Stadtbezirk Farringdon Within, und wenngleich jeder von ihnen eine andere Ansicht zu vertreten schien, hielten sie die Stimmen doch vornehm gesenkt. Jonah stand im dämmrigen Vorraum, spähte durch die offene Tür in den Ratssaal und wartete geduldig. Als die vier Stadtväter sich endlich verabschiedet hatten, entdeckte der Sheriff den jungen Mann. »Ja?«, fragte er barsch.
Jonah schärfte sich ein, höflich zu bleiben. »Mein Name ist Jonah Durham, Sir.«
Lucian Brembre war ein großer, beleibter Mann in den Vierzigern. Dünnes, mausbraunes Haar fiel ihm in Wellen bis auf die Schultern, auch der Bart war spärlich. Die blauen Augen wirkten scharfsichtig. Jetzt verengten sie sich für einen kurzen Moment und verrieten, dass er wusste, wen er vor sich hatte. Doch er sagte lediglich: »Und was weiter?«
Jonah erkannte, dass er ebenso gut auf dem Absatz kehrt machen und gehen konnte. Aber er hatte nicht die Absicht, es dem Sheriff so leicht zu machen. Er sah ihm in die Augen. »Eure Männer haben heute früh am Hafen einen flämischen Weber festgenommen, der mit
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