Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
und wieder in Jonahs Beutel klimpern hörte, war nur ein Bruchteil. Unter einer der Holzdielen im Lager lag sein eigentliches Vermögen versteckt. Es waren beinah sieben Pfund. Mehr als ein Zimmermann in einem Jahr verdiente.
»Wohin schaffst du das Tuch, wenn Master Rupert nichts davon wissen darf?«, fragte Crispin neugierig. »Wie wickelt ihr die Verkäufe ab?«
»Über Vater Gilbert. Seine Sakristei ist unser Tuchlager. Unsere Kunden lassen die Ware bei ihm abholen und zahlen ihm den vereinbarten Preis. Sonnabends nach der Beichte gibt er Großmutter das Geld.«
Crispin lachte und verstummte abrupt, als er erkannte, dass Jonah das ernst gemeint hatte. »Ein Priester, der sich als Zwischenhändler betätigt?«, fragte er entrüstet.
Jonah hob kurz die Schultern. »Vater Gilbert bekommt ein Zehntel als Spende für den Ausbau des Hospitals von St. Thomas von Akkon. Außerdem hat er meinen Großvater sehr geschätzt. Und er verabscheut Rupert.«
»Ja, das ist mir nicht entgangen.« Crispin dachte nach. Dann strich er sich nachdenklich mit dem Zeigefinger über die Unterlippe. »Weißt du, Websters Lehrjunge, Henry Auburn, erzählte mir gestern, sie haben fünf Ballen einfache, dunkle Wolle, über die die Motten sich hergemacht haben. Die ganzen Feiertage hing bei Websters deswegen der Haussegen schief. Dabei ist es gar nicht so schlimm, meint Henry, nur hier und da ein Loch. Aber Webster will das Tuch nicht mehr verkaufen.«
Jonah warf ihm über die Schulter einen Blick zu. »Handel einen Preis mit Henry aus. Aber auf keinen Fall über acht Shilling. Du bekommst zwei Zehntel von meinen zwei Zehnteln.«
»Drei«, entgegnete Crispin entschieden.
Jonah lächelte vor sich ihn. »Ich wusste, du lernst schnell.«
London, Mai 1331
D er Frühling war die schönste Jahreszeit in der Stadt. Das triste Wintergrau war hellem Sonnenschein gewichen; auf den vielen Friedhöfen und am Rand der zahllosen kleinen Plätze leuchteten das Frühlingsgras und wilde Blumen um die Wette, in den prächtigen Gärten der Stadtvillen zeigten sich die ersten Rosenknospen und plätscherten Springbrunnen. Die Luft war mild, die Tage wurden länger, aber noch waren die Sommerhitze und der damit einhergehende Gestank von zu vielen Menschen und ihrem Vieh und verfaulendem Unrat nicht angebrochen.
Man hörte nicht viel von dem jungen König Edward, der jetzt seit einem halben Jahr die Regierung innehatte. Er war kaum je in seinem Palast im nahen Westminster, noch seltener im Tower, seiner Londoner Burg, sondern zog mit Frau und Kind und großem Gefolge durchs Land, wurde erzählt, und bemühte sich, die Adligen seines Reiches, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren so bitter bekriegt hatten, miteinander auszusöhnen und willkürliche Enteignungen, die Mortimer, der Liebhaber und Mitregent seiner Mutter, vorgenommen hatte,rückgängig zu machen. Von einem neuen Krieg gegen Schottland hörte man nichts.
Aber Cecilia Hillock war nicht so leicht in ihrem Glauben zu erschüttern. »Dieser Krieg wird kommen«, versicherte sie, »König Edward ist ein Löwe wie sein Großvater, und er wird den schändlichen Frieden nicht länger halten, als er muss.«
»Ich wüsste nicht, was uns seine Kriege interessieren sollten«, erwiderte Elizabeth verdrossen. »Und ich sehe erst recht keinen Anlass zur Freude darin. London wird wieder voller Soldaten sein, und keine anständige Frau kann sich mehr auf die Straße wagen.«
»Mein Bruder Pete kann es kaum erwarten, mit dem König in den Krieg zu ziehen«, meldete Helen, die junge Magd aus Chiswick, sich zu Wort.
»Du redest nur, wenn du gefragt wirst«, fuhr Elizabeth ihr über den Mund.
Helen schnitt eine verstohlene Grimasse und widmete sich ihrem Eintopf. Einige Augenblicke herrschte Stille am Tisch. Der Haushalt saß beim Nachtmahl, der Hauptmahlzeit des Tages, die nach Geschäftsschluss eingenommen wurde. Das Essen war schlicht, die Portionen der Lehrlinge und Mägde eher dürftig, aber immerhin schmackhaft. Um diese Jahreszeit gab es wieder frisches Fleisch und Gemüse. Der Eintopf bestand aus grünem Kohl und dicker Schweinerippe, dazu gab es frisches, braunes Brot und Bier. Rupert, Jonah und Crispin löffelten mit Heißhunger. Cecilia hingegen zeigte nur wenig Interesse für ihre Schale. Sie aß mechanisch. Alte Leute, hatte sie Jonah einmal erklärt, haben kein großes Bedürfnis nach Nahrung mehr. Das Winterfieber, das sie erst im März vollends überwunden hatte, schien sie noch dürrer
Weitere Kostenlose Bücher