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Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Hillocks kannte – sie wäre eingegangen vor Scham. Sie wollte einen Fremden und die Anonymität eines Beichtstuhls.
    Sie kam an vielen Kirchen vorbei und entschied sich schließlichfür St. Martin im Weinhändlerviertel. Dieser Heilige, der einem Menschen in Not so große Barmherzigkeit gezeigt hatte, machte ihr ein wenig Hoffnung.
    Das Gotteshaus war klein und schlicht, aber aus Stein erbaut. Die Wände im Innern waren mit Szenen aus der Bibel bemalt, doch die Farbe war verblasst und teilweise abgeblättert. In einer Nische nahe des Altars stand eine steinerne Figur des Heiligen. Der prachtvollste Schmuck der Kirche war ein goldenes Altarkreuz, welches die Weinhändlergilde gestiftet hatte.
    Es gab keinen Beichtstuhl, doch ein Winkel des Seitenschiffs war mit einem Vorhang abgetrennt. Auf den kalten Steinfliesen davor kniete ein junger Mann, den Kopf tief gesenkt, und lauschte den Worten des Geistlichen. Dann bekreuzigte er sich, erhob sich eilig und ging mit langen Schritten zur Tür.
    Annot trat zögernd an den Vorhang, kniete sich hin und faltete die Hände. »In Reue und Demut bekenne ich meine Sünden.«
    »Sprich, Tochter.« Es war eine tiefe, angenehme Stimme.
    Annot fühlte sich schon ein wenig getröstet. Sie schloss die Augen, beichtete ihre kleinen Sünden der letzten Zeit und kam zum Schluss zu ihrem großen Kummer. Als sie geendet hatte, war es einen Moment still hinter dem schlaffen Vorhang aus brauner, schlichter Wolle. Im Tuchhändlerviertel sähe er anders aus, fuhr es Annot durch den Kopf. Dann sagte die warme Stimme des Priesters: »Dir ist ein großes Unrecht widerfahren.«
    Sie kniff die Augen zu und versuchte, den Kloß in ihrer Kehle hinunterzuwürgen. »Ja, Vater. Was soll ich nur tun?«
    »Nun, das Wichtigste scheint mir zu sein, dass du erst einmal erkennst, dass es deine eigene Schuld ist.«
    Sie riss die Augen auf und starrte den Vorhang ungläubig an. »Bitte? Aber … wieso?«
    »Weil du eine Tochter Evas bist. Alle Frauen sind sündig, mein Kind, auch du. Und ehe du das nicht einsiehst, kannst du deine Verfehlungen nicht bereuen. Ehe du sie nicht bereust, wird Gott dir nicht vergeben.«
    Annot atmete tief durch. »Ich bin nicht gekommen, um Vergebung für eine Sünde zu erbitten, die ich nicht begangen habe, Vater. Ich suche Rat.«
    »Da siehst du, wie verstockt du bist. Geh in dich. Gib zu, dass du dem Kaufmann schöne Augen gemacht hast. Vermutlich hast du gehofft, er werde seine kinderlose Frau fortschicken und stattdessen dich nehmen.«
    Schon allein von dem Gedanken, Rupert Hillocks Frau zu werden, wurde ihr sterbenselend. »Das ist nicht wahr, Vater. Ich schwöre bei Gott, dass ich dem Kaufmann in keiner Weise zu verstehen gegeben habe, dass ich … Ihr wisst schon.«
    Der Priester seufzte leise. »Ich merke, dass du entschlossen bist, mit deiner Halsstarrigkeit alles noch schlimmer zu machen. Ehe du nicht einsichtiger bist, wird der Herr dir keinen Ausweg weisen. Demut ist der einzige Pfad zur Erkenntnis, das gilt für dich im besonderen Maße.«
    Annot spürte ein hohles Gefühl in ihrem Innern. Mit einem Mal war sie furchtbar erschöpft. »Ihr wollt mir also nicht helfen?«
    »Doch. Komm wieder, wenn du deine Verfehlungen erkannt hast. Frage nach Vater Julius, das bin ich. Wenn du einsichtig und reuig wiederkommst, bringe ich dich in ein Haus, wo man dich aufnehmen wird.«
    Annot bedankte sich hastig und verließ die Kirche ohne Absolution.
    Sie konnte sich gut vorstellen, was für ein Haus Vater Julius meinte. Aber sie wollte in kein Kloster. Ganz gewiss in keins von der Sorte, die gefallene Mädchen aufnahmen: eine Schar Nonnen in Lumpen in einem baufälligen, schäbigen alten Haus, die von der Mildtätigkeit einer Gilde oder eines Adligen lebten, ohne Würde, ohne das geringste Ansehen, ein Leben in echter, nicht in freiwilliger Armut. Der Pater hatte Recht, erkannte sie. Sie war noch nicht so weit, dass sie sich mit so einem Los hätte abfinden können. Es musste einen anderen Weg geben.Wenige Tage später kam Jonah nach Einbruch der Dunkelheit von einer Zusammenkunft der Lehrlingsbruderschaft heim. Wieder einmal hatte er das Abendessen versäumt, doch heute würde ihm deswegen niemand einen Vorwurf machen. Diese Bruderschaft, der die Söhne und Lehrlinge der Tuchhändler angehörten, stand unter Vater Gilberts Aufsicht und Obhut. Etwa einmal im Monat rief er ihre Mitglieder im Versammlungshaus der Gilde zusammen, wo er mit ihnen betete und ihnen Bibelunterricht

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