Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
und ausgemergelter zurückgelassen zu haben, und die Gicht hatte ihr während des nassen, kühlen Frühjahrs besonders zu schaffen gemacht. Aber sie ist unverwüstlich, dachte Jonah bewundernd. Sie hustete noch dann und wann, doch wenn er sich gelegentlich nach ihrem Befinden erkundigte, versicherte sie ihm, es bestehe keinerlei Grund zur Besorgnis.
Auch Elizabeth aß lustlos, bemerkte Annot. Sie wusste, die Meisterin litt an ständiger Übelkeit und musste sich zwingen, genug zu sich zu nehmen, um das Kind unter ihrem Herzen zu ernähren. Man konnte es inzwischen deutlich sehen. Obwohl Elizabeth dazu übergegangen war, weit fallende Kleider zu tragen, zeichnete ihr gewölbter Bauch sich unter den Falten ab. Annot beobachtete sie aufmerksam. Tag für Tag. Keine Veränderung entging ihr. Sie beobachtete und lernte. Ihr heimliches Interesse am Verlauf der Schwangerschaft war ein sehr persönliches: Seit Februar war ihre Blutung ausgeblieben.
Es war nicht bei dem einen Mal geblieben. Rupert hatte sich nicht damit zufrieden gegeben, sie einmal gehabt zu haben, wie sie anfangs gehofft hatte. Im Gegenteil. Es war, als nähre die Gewohnheit sein Verlangen. Er wurde erfindungsreicher darin, Situationen zu arrangieren, in denen er allein und ungestört mit Annot war. Das war nicht einmal besonders schwierig. Elizabeth und die alte Mistress hielten sich viele Stunden des Tages in ihren Kammern auf, Jonah und Crispin hüteten den Laden oder waren für ihren Meister in der Stadt unterwegs, und so fand Annot sich Rupert wieder und wieder ausgeliefert.
Sie hatte gefleht und gebettelt, getobt und gedroht, hatte ihm vor Augen geführt, welch große Sünde er beging und dass er den Preis dafür werde zahlen müssen, wenn er sich nicht besann. Nichts hatte genützt. Er schien nicht einmal zu hören, was sie ihm sagte, sondern nestelte mit zitternden Händen an ihrem Kleid, drängte sie an die Wand oder auf die gestapelten Tuchballen in seinem Lager oder auf ihr Bett, je nachdem, wo er ihr gerade aufgelauert hatte, und vergewaltigte sie mit einer Selbstverständlichkeit, die ihr einfach unbegreiflich blieb. Manchmal machte er kleine Scherze darüber und tat verschwörerisch. Davon wurde ihr so übel, dass sie es vorzog, wenn er grob und mürrisch war.
Anfangs hatte sie rebelliert und mit Gott gehadert, weil so himmelschreiend ungerecht war, was ihr passierte. Das hatte sie wirklich nicht verdient. Lerneifrig und arbeitswillig war sie in diese fremde Stadt und dieses Haus gekommen, war still undfleißig und tat immer alles, was man ihr sagte, war sonn- und feiertags zur Messe gegangen, hatte niemals freitags Fleisch gegessen und jeden Abend ihre Gebete gesprochen – kurz, sie hatte alle Regeln befolgt, die man ihr beigebracht hatte, und trotzdem hatte Gott sie im Stich gelassen. Als sie schließlich erkannte, wie kindisch es war, zu glauben, dass ihre Lebensweise ihr irgendeine Art von Sicherheit gewährleisten könnte, wo doch das Leben hier auf Erden ein Jammertal war und Gott die Gerechten erst im Jenseits belohnte, hatte sie resigniert. Sie hatte versucht, das, was ihr unerträglich schien, duldsam hinzunehmen. Bis sie erkannte, dass sie ein Kind von Rupert erwartete. Seither befand sie sich in einem anhaltenden Zustand tiefer Verzweiflung. Nachts fuhr sie in Schweiß gebadet aus dem Schlaf auf, mit einem Gefühl im Magen, als habe sie einen Eiszapfen verschluckt. Und dann lag sie stundenlang wach, all ihre Sorgen und Ängste wuchsen in der Dunkelheit zu unüberwindlichen, vielköpfigen Ungeheuern, und sie fragte sich, was nur aus ihr werden sollte.
Am Samstag vor Himmelfahrt schlich sie kurz nach Mittag aus dem Haus und machte sich Richtung Fluss auf den Weg. Sie musste sich jemandem anvertrauen. So konnte es nicht weitergehen. Kein Mensch kann das auf Dauer aushalten, dachte sie, das menschliche Herz ist für so viel Angst nicht geschaffen. Insgeheim hatte sie gehofft, ihre anhaltende Panik werde dem Kind in ihrem Bauch schaden und es austreiben. Aber das war nicht geschehen. Das Kind war geblieben, und letzte Nacht hatte sie es zum ersten Mal gespürt. Das hatte den Ausschlag gegeben. Es hatte ihr ein für alle Mal klar gemacht, dass dieses Kind eine Tatsache war, dass ihr Bauch bald für alle Welt sichtbar anschwellen würde, dass sie Rupert Hillocks Bastard trug und dass sie Hilfe brauchte.
Sie ging Richtung Vintry auf der Suche nach einer fremden Kirche. Es war undenkbar, mit Vater Gilbert zu reden, der sie und die
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