Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
die Heimfahrt verstaut war.
Lucas nahm seinen Mut zusammen, trat zu seinem Vater und verneigte sich formvollendet. »Sir, ich bitte Euch um Verzeihung.«
Jonah sah nur ganz kurz auf ihn hinab. »Steig ein«, befahl er und ritt ans vordere Ende des langen Gefährts.
Eltham lag nicht viel mehr als zehn Meilen außerhalb der Stadt, und obwohl der Wagen nur langsam einherzockeln konnte, dauerte die Fahrt nicht länger als drei Stunden. Für Giselle konnte sie gar nicht schnell genug vorüber sein. Ihr Ältester saß bleich und stumm auf der Bank ihr gegenüber und hüllte sich in Düsternis wie in eine schwarze Rauchwolke. Sein Vater könnte es nicht besser, dachte sie beklommen.
»Madam, ich bitte Euch um Verzeihung«, hatte er auch zu ihr gesagt, mechanisch, hölzern, wie auswendig gelernt. Er hatte sie noch nie in seinem Leben »Madam« genannt.
»Natürlich verzeihe ich dir, Lucas«, hatte sie ernst erwidert. »Wie ich merke, hast du ja bereits eingesehen, dass es ein schwerer Fehler war.«
Er hatte überhaupt nicht reagiert, schien durch sie hindurchzustarren und sprach kein Wort mehr. Wo war nur das Kind geblieben, das sie bis vor wenigen Wochen noch gehabt hatte? Er war nicht nur athletischer und mindestens einen halben Kopf größer als der Lucas, den sie in Erinnerung hatte, sondern wirkte finster und entschlossen wie ein junger Märtyrer. Er war ihr unheimlich.
Philip und Elena erging es nicht viel besser. Sie bemühten sich, ihren Bruder in ein Gespräch zu verwickeln, stellten aber bald fest, dass sie gegen eine Wand redeten, wurden verzagt und kleinlaut. Giselle fischte ein Stück Garn aus dem bestickten Seidenbeutel an ihrem Gürtel und lenkte sie mit einem Fadenspiel ab.
Als sie in ihren Hof einbogen und der Wagen vor dem Stallgebäude hielt, saß Jonah ab und band sein Pferd an einen der eisernen Ringe neben der Tür. Lucas war schon heruntergeklettert, und auf ein knappes Nicken seines Vaters ging er vor ihm her zum Haus hinüber.
Giselle hielt ihren schlafenden Jüngsten im Arm und küsste mit geschlossenen Augen seinen samtweichen, dunklen Flaum. Piers streckte ihr die Hand entgegen, um ihr vom Wagen zu helfen, und sah die einzelne Träne, die ihre Wange hinabrollte. »Oh, Mistress«, sagte er halb ungeduldig, halb mitfühlend. »Er hat’s verdient, und er wird’s überleben.«
Sie rang sich ein Lächeln ab. »Ja, ich weiß.«
Der Lehrling hatte das Gefühl, er müsse noch mehr sagen. »Der Master nimmt einen nie so hart ran, wie man meinen sollte, stimmt’s nicht, Philip?« Er packte den Zweitältesten unter den Achseln, hob ihn von der Ladefläche und stellte ihn auf die Füße. »Wir beide wissen, wovon wir reden.«
Philip schnitt eine freche Grimasse und nickte.
An der Haustür trafen Jonah und Lucas auf Rachel. »Oh, Master Jonah …«
»Nicht jetzt, Rachel.« Jonah nahm Lucas’ Arm und zerrte den Jungen Richtung Kontor.
»Aber Master …«
»Ich sagte, nicht jetzt!«
Sie versuchte es kein drittes Mal, sondern eilte in den Hof hinaus zu Giselle.
Derweil betraten Vater und Sohn das Kontor. Jonah ließ den Jungen los, stieß ihn grob durch die Tür und schloss sie. Dann holte er den biegsamen Stock von seinem Platz auf dem Regal zur Linken. Lucas starrte seinen Vater einen Augenblick an. Das Herz hämmerte ihm in der Kehle, seine Hände waren feucht.
Jonah war nicht in der Lage, die Angst in den Augen des Jungen zu erkennen, und missverstand den Blick. »Du machst es dir nicht gerade leichter«, drohte er leise. »Worauf wartest du?«
Lucas hob die bleischweren Arme, löste die Kordel am Halsausschnitt seines Kittels und zog ihn zusammen mit dem Wams über den Kopf. Nachlässig ließ er die feinen Kleidungsstücke zu Boden fallen, als lege er es wirklich darauf an, seinen Vater noch wütender zu machen.
Jonah nickte langsam. Ganz wie du willst, mein Sohn, dachte er finster.
Lucas wandte ihm den Rücken zu, und Jonah stockte der Atem. Für einen Moment blieb ihm bei diesem Anblick tatsächlich die Luft weg. Irgendein wahnsinniges Ungeheuer war ihm zuvorgekommen, so schien es. Der schmale Kinderrücken war mit mehr Striemen übersät, als Jonah je gesehen hatte – dabei hatte er allerhand gesehen, meist mit nach hinten verrenktem Kopf im Spiegel –, und die Mehrzahl der Male war blutig.
Jonah ließ den Stock so hastig fallen, als habe er sich die Finger daran verbrannt, trat einen Schritt auf seinen Sohn zu und nahm wieder dessen Arm, ganz behutsam dieses Mal. Er
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