Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
schreiben, war abergläubisch und hatte grauenvolle Tischmanieren, aber er war ein pfiffiger Bursche, und Cecil wusste, dass Jonah ihm blind vertraute. Rachel war von ähnlich schlichter Machart und doch eine kluge Frau, manchmal verblüffend einfallsreich. Aber natürlich konnten sie ihm nicht helfen. Wenn es einen Ausweg gäbe, hätte er ihn selbst gefunden. Außerdem hätte es gegen de la Poles Bedingungen verstoßen, und das durfte er nicht riskieren. Gänsehaut kroch seine Arme hinauf, wenn er sich an den Blick dieser Falkenaugen erinnerte, die unverwandt auf ihn gerichtet gewesen waren, während der lange Oberkörper des mächtigen Kaufherren sich immer weiter zu ihm herabbeugte: »Ich erwarte dich in spätestens drei Tagen wieder hier. Komm nach Einbruch der Dunkelheit. Wenn du mir bringst, was ich will, wird niemand je das dunkle Geheimnis deines Busenfreundes erfahren. Halte dein Wort, dann halte ich meins. Wenn du aber irgendwem von unserer kleinen Unterhaltung erzählst, betrachte ich das als Wortbruch. Und wenn du erwägen solltest, dich umzubringen, um deinem Gewissenskonflikt zu entfliehen, dann lass dir gesagt sein, auch das betrachte ich als Wortbruch …« Und damit war Cecils letzter Ausweg versperrt gewesen.
»Also, raus mit der Sprache, Junge«, forderte Meurig. »Was ist es, das dir solchen Kummer macht? Was wollte dieser Bote, der dich neulich abends aufgesucht hat?«
Erleichtert griff Cecil die Lüge des Boten auf. »Meine … meine Mutter ist krank. Es ist weiter nichts Ernstes, aber ich bin natürlich trotzdem beunruhigt.«
Meurig nickte verständnisvoll und tauschte einen verstohlenen Blick mit Rachel, die fast unmerklich den Kopf schüttelte.»Verstehe, Cecil. Deine Mutter ist also krank. Und warum kannst du mir nicht in die Augen sehen, während du das sagst?«
Cecil hob den Kopf und schaute ihm demonstrativ ins Gesicht, starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Du zweifelst an meinem Wort?«
»Spiel mir nicht das Herrensöhnchen vor, nur weil du plötzlich Durham heißt. Ja, ich zweifle an deinem Wort.«
»Meurig«, schalt Rachel beschwichtigend. »Setz ihm nicht so zu.«
Ihr Mann hob ungeduldig die Schultern. »Ich will ihm helfen, das ist alles. Und wie kann ich das, wenn er mich anlügt?«
Cecil stand unvermittelt auf. »Ich bin euch dankbar für eure Anteilnahme. Wirklich. Aber ihr macht euch unnötige Sorgen. Es ist, wie ich gesagt habe. Und jetzt gehe ich schlafen. Gute Nacht.«
Hilflos sahen sie ihm nach.
Cecil wartete, das Ohr an die Tür seiner Kammer gepresst, bis er Rachel und Meurig das Haus verlassen hörte. Wie er an ihrer Kate vorbei unbemerkt zum Tor gelangen sollte, wusste er noch nicht, denn Meurig hatte scharfe Ohren. Aber mit dem Problem würde er sich befassen, wenn es so weit war.
Erst einmal trat er mit einer Kerze auf die Galerie hinaus. Im Haus war es geradezu unheimlich still. Cecil ging zu Jonahs Tür und hob die Hand, ehe ihn der Mut verließ.
Ich kann nicht, dachte er kläglich. Ich kann das nicht tun. Schweiß rann seinen Rücken hinab, dumpfe Kopfschmerzen hämmerten in seinen Schläfen. Dann dachte er an Harry, dem er so vieles verdankte, dessen Zukunft und Ansehen er in Händen hielt. Er atmete tief durch, stöhnte beinah, und trat dann durch die Tür.
Jonah hatte ihm seinen ganzen Schlüsselring überlassen, denn selbst um das Geschäft nur für ein paar Tage zu verwalten, brauchte Cecil Zugang zur Geldtruhe. Seine rechte Hand zitterte so sehr, dass er drei Anläufe benötigte, um den schweren Eisenschlüssel ins Schloss zu stecken. Dann hörte er den Riegel zurückfahren,ließ den Schlüssel los und klappte den massiven Eichendeckel hoch. Es war schwierig mit nur einer Hand, denn die Truhe war groß.
Sie war beinah bis zum Rand mit Leinensäcken voller Goldund Silbermünzen gefüllt, und hätte das, was Cecil suchte, ganz unten gelegen, hätte er bestimmt eine Stunde Arbeit gehabt, es zu finden. Doch die wichtigen Papiere, die in der Truhe aufbewahrt wurden, lagen zwischen zwei dünnen, lederbezogenen Holzdeckeln obenauf. Hastig blätterte Cecil durch Verträge und Wechsel, und dann fand er das vergilbte Stück Pergament, das de la Pole ihm beschrieben hatte: eine Urkunde des Lord Treasurer, ausgestellt am Tage des heiligen Hoger, dem 20. Dezember, im Jahre des Herrn 1337 in Dordrecht, welche bescheinigte, dass die Krone Master Jonah Durham eine Summe von 1166 Pfund schulde. So schlicht sahen sie also aus, die berühmten
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