Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
Nebel darauf gelegt, und ihr Finger hinterließ eine sichtbare Spur. »Erzähl mir, wie ein normaler Abend hier aussieht«, bat sie, ohne ihn anzusehen.
Cupido setzte sich auf den Rand des großen Beckens in der Mitte und steckte eine Hand ins Wasser. »Die Mädchen machen sich am späten Nachmittag zurecht und kommen in die Halle herunter. Nicht viel später kommen die ersten Kunden – es sind jeden Tag ein paar besonders eilige darunter, die nicht bis zum Einbruch der Dunkelheit warten können. Doch die meisten bleiben zum Abendessen zu Hause und erzählen ihren Frauen dann, sie müssten zu einer Versammlung ins Zunfthaus oder Ähnliches. Sobald es dunkel ist und man auf der Straße nicht mehr leicht erkannt wird, kommen sie her. Dann wird es hier voll, jeden Abend. Manche kommen in die Halle, trinken einen Becher, suchen sich ein Mädchen aus und gehen mit ihm nach oben. Das hast du sicher schon tausendmal gehört.«
Annot nickte wortlos.
»Andere ziehen den Badesaal vor. Hier unten ist jeden Abend allerhand los. Sie baden hier im großen Becken, machen irgendwelche neckischen Spielchen oder mieten eine der Einzelwannen und lassen sich von den Mädchen mit duftenden Ölen einreiben. Wenn sie zur Sache kommen, ziehen sie sich hinter die Vorhänge zurück. Meistens. Nicht immer. Manchmal gehtes auch hier im Becken ziemlich hoch her, und ich darf am nächsten Morgen das Wasser wechseln. Lady Prescote besteht darauf.«
»Ist sie auch dabei?«, fragte Annot, die immer noch auf die Fliesenmuster starrte.
»Bist du noch bei Trost? Natürlich nicht. Sie kommt jeden Tag gegen Mittag eine Stunde her, um alles Geschäftliche zu regeln. Abends ist sie bei ihrem ahnungslosen Gemahl und ihren keuschen Töchtern.«
Annot lachte auf, sie war selbst verblüfft, wie frech und … ungezogen es klang. Ihr Lachen hallte in dem unmöblierten, großen Raum. Als sie verstummte, hörte sie für einen kurzen Moment ein schwaches Echo.
Cupido brachte das Wasser mit der Hand in Bewegung, und Reflexionen wie Feenlichter tanzten in allen Farben des Regenbogens über die Wände.
»Könntest du dich entschließen, herzukommen und dich zu mir zu setzen, Annot?«
Sie wandte sich abrupt zu ihm um. Er lächelte schwach, hatte den Kopf leicht zur Seite geneigt und sah sie offen an. Seine Linke hing nach wie vor im Wasser; er wirkte vollkommen gelöst, eine Spur neugierig vielleicht.
»Und wenn ich käme, was würdest du tun?«
»Ich würde dich ausziehen, wenn du mich lässt. Dich in dieses wunderbar warme Wasser führen. Dieser Teil des Hauses ist unterkellert, im Keller brennt ein Feuer, das das Wasser in den Rohren erwärmt, ist das nicht unglaublich?«
Sie musste schon wieder lachen. Diese profane Information nach seinem skandalösen Ansinnen erschien ihr komisch. Cupidos volle, rote Lippen verzogen sich nach oben, und seine Augen lachten ebenfalls. Wie gut er aussieht, fuhr es ihr durch den Kopf. Sie kam sich verwegen vor, als sie sich von der Wand löste und langsam auf das große Becken zutrat.
Er streckte die Rechte nach ihr aus, umschloss ihre Hand und drückte die Innenfläche kurz an die Lippen. »Du wirst es nicht bereuen«, beteuerte er, seine Stimme klang ein wenig heiser,und er wirkte mit einem Mal nicht mehr so vollkommen gelassen wie sonst.
Sie fragte sich, ob es zu seinem Auftrag gehörte, ihr etwas vorzuspielen.
Er hob den Kopf und sah ihr in die Augen. »Du glaubst mir nicht?«
»Doch«, gestand sie zu ihrer Überraschung.
Er lächelte befreit. »Würdest du mir dann erlauben, dir die Augen zu verbinden? Ich weiß, ich stelle hohe Ansprüche an dein Vertrauen, aber es macht die Dinge einfacher, glaub mir.«
Sie nickte.
Cupido zog ein schmales, schwarzes Tuch hervor, legte es behutsam über ihre Augen und machte einen Knoten, fest genug, dass sie nichts sehen konnte, aber nicht so fest, dass es unangenehm war.
Annot spürte ihre Kehle wieder eng werden. Sie hörte das Plätschern des Wassers lauter als zuvor, nahm den schweren Duft bewusster wahr. Überdeutlich hörte sie auch das leise Knistern von Stoff neben sich, als Cupido sich erhob. Er nahm ihre Hand, zog sie mit sich in die Höhe und strich mit den Händen über ihr Gesicht.
»Du bist das unglaublichste Geschöpf, das je in dieses Haus gekommen ist, weißt du das?«, flüsterte er. »Ich könnte dich anbeten. Und das werde ich auch. Wenn du mich lässt.«
Er hatte einen ganz eigenen Duft, den sie jetzt zum ersten Mal wahrnahm. Schwach und
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