Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
sterben, als Jonah hier wiederzusehen.«
Lilian wedelte den Einwand ungeduldig beiseite. »Ständig sagst du solche Sachen. ›Lieber will ich sterben.‹ Was für ein Unfug. Warte nur, bis er hier aufkreuzt. Wenn du es richtig anstellst, bleibt er die ganze Nacht bei dir und kommt am nächsten Abend wieder. Es wird so sein, wie du es wolltest, nur dass du ihm weder die Wäsche waschen noch das Essen kochen musst. Und prügeln darf er dich auch nicht, es sei denn, er zahlt extra, dann hast du wenigstens was davon …«
»Aber ich wollte seine Frau sein. Das ist doch etwas ganz anderes. Ich wollte ihm angehören und mein ganzes Leben mit ihm verbringen. Und ihm Kinder schenken.«
Lilian lachte. »Das wirst du.« Dann rümpfte sie die zierliche Nase. »Ein ganzes Leben kann grässlich lang werden, Liebes. Das erste Jahr mag der Himmel auf Erden sein, aber früher oder später wird es doch bei allen die Hölle. Nimm dir die gute Zeit, sag ich, und lass den Rest sausen. Du verpasst nichts, glaub mir.«
Annot spürte die nächste Wehe einsetzen und konnte sich nicht länger auf ihre Debatte konzentrieren. Wenige Minutenspäter kam die Hebamme, eine Frau um die vierzig mit offenen, langen schwarzen Haaren, die der Wöchnerin sofort Vertrauen einflößte.
Die Hebamme legte ihre warmen Hände auf den dicken, gespannten Bauch und tastete behutsam. »Das erste?«
Annot nickte.
»Ist die Zeit richtig?«, fragte die schwarzhaarige Frau weiter.
Annot sah sie verwirrt an, aber Lilian, die die Geschichte ihrer Schwangerschaft kannte, schüttelte den Kopf. »Etwa einen Monat zu früh«, erklärte sie.
Die Hebamme hob die Brauen. »Und trotzdem so dick? Dann bete, dass es nicht zwei werden, Kindchen …«
Es wurde nur eines, und es war auch nicht so schlimm, wie Annot befürchtet hatte. Vielleicht war ihre Geburt leichter als die der anderen Mädchen, die sie miterlebt hatte – immerhin brachte sie ja vermutlich ein kleineres Kind zur Welt –, vielleicht konnte sie Schmerz besser aushalten. Jedenfalls schrie sie nicht das Haus zusammen. Sie kämpfte verbissen vier Stunden lang, und als sie glaubte, am Rande der Erschöpfung angelangt zu sein, brachte sie Rupert Hillocks Kind zur Welt.
»Was ist es?«, fragte sie.
Niemand antwortete.
Nach einem Moment hob Annot den Kopf und sah Lilian und die Hebamme über die Truhe am Fenster gebeugt stehen. Es war auf einmal beunruhigend still. Das Neugeborene, das eben noch so lebhaft und kräftig gebrüllt hatte, war verstummt.
»Ist es tot?«, fragte sie angstvoll.
»Nein«, sagte die Hebamme, ohne sich umzuwenden. »Es ist ein Junge, Kindchen.«
»Gib ihn mir.«
Lilian kam zum Bett zurück, setzte sich zu Annot und nahm ihre Hand. »Er strampelt und atmet. Aber etwas stimmt nicht mit ihm.«
Annot riss ihre Hand los. »Gebt mir mein Kind! Ich will ihn sehen.«
Die Hebamme trug das winzige Neugeborene zu ihr herüber und legte es ihr auf den Bauch.
Annot sah es sofort. Der Kopf war viel zu groß, der linke Arm verkümmert. Eine Missgeburt, dachte sie schaudernd. Mein Kind ist missgestaltet. Vermutlich schwachsinnig. Sie starrte entsetzt darauf hinab. Dafür habe ich dies also durchgemacht, alles auf mich genommen, was in den letzten Monaten passiert ist.
Dann regte sich das kleine Wesen und reckte den gesunden Arm in die Luft, tastete und fand nicht, was es suchte. Annot legte behutsam die Hände darauf und zog es ein Stückchen höher an ihre Brust. Sofort begann das winzige Baby zu saugen.
Sie sah auf das feuerrote Gesicht mit den zugekniffenen Augen hinab.
»Nehmen sie auch ein solches Kind in dem Kloster, von dem Lady Prescote gesprochen hat?«, fragte sie.
Die Hebamme trat zu ihr, verschränkte die Arme und nickte. »Natürlich. Es ist alles eine Frage des Geldes. Sag mir, wie er heißen soll. Sobald es hell wird, bringe ich ihn hinüber nach St. Margaret und lasse ihn taufen.«
»Und danach?«, fragte die junge Mutter unwillkürlich, obwohl sie die Antwort kannte.
»Eine Amme wird sich seiner annehmen. Mir wäre lieber gewesen, du hättest ihn gar nicht erst angelegt, Kindchen, das macht alles nur schwerer. Aber glaub mir, du kannst ihn hier nicht gebrauchen.«
»Nein. Ich weiß.« Annots Stimme klang erstickt. Todunglücklich sah sie auf ihr missgestaltetes Kind hinab und fragte sich, was nur aus ihm werden sollte. »Aber ich will wissen, wohin er gebracht wird«, erklärte sie trotzig. »Und ich will ihn sehen. Sooft es geht.«
»Das wirst du. Jetzt sag
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