Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
zurück in die Werkstätten und klappten die waagerechten, einteiligen Fensterläden hoch, die ihnen tagsüber als Stellfläche für ihre Waren dienten. Hier und da rief einer von ihnen Jonah an, pries seine bestickten Börsen, eine todsichere Tinktur gegen Warzen oder hölzerne Löffel – in der Hoffnung, kurz vor dem Feierabend noch ein schnelles Geschäft zu machen. Wahrsager, Bader und Huren boten ihm ihre Dienste an; Beutelschneider versuchten, ihn in ein Gespräch zu verwickeln, um ihn dabei unauffällig bis auf den letzten Penny auszurauben; ein vorgeblich blinder Bettler appellierte an seine Mildtätigkeit und bewarf ihn treffsicher mit einem Mistfladen, als er nichts bekam; ein als Bettelmönch verkleideter Gauner verkaufte kleine Säckchen mit Dreck als Erde aus dem Garten Gethsemane. Jonah bewegte sich gewandt durch das wimmelnde Menschengewühl, umrundete mühelos jeden, der sich ihm in den Weg zu stellen versuchte, lachte über die derben Komplimente der Huren und die verrückten Versprechungen der Scharlatane und ging niemandem auf den Leim. Er ergötzte sich an seiner Stadt, ihrer Buntheit und Vielfalt. Vom Bischof bis hinab zu den zerlumpten Wanderpredigern schimpften die Geistlichen über Londons Verruchtheit, verglichen es mit der purpurnen Stadt, der großen Hure Babylon. Regelmäßig prophezeiten sie ihr ein göttliches Strafgericht. Und wahrscheinlich wird es so kommen, mutmaßte Jonah, aber es kümmerte ihn nicht. Er liebte diese Stadt. An einer Straßenküche erstand er eine wunderbar duftende Blätterteigpastete, die mit zartem Kaninchenfleisch und -nieren gefüllt war und die er auf dem Heimweg genüsslich verspeiste.
Meurig stand am Tor und hielt nach ihm Ausschau.
»Gott sei Dank«, stieß er erleichtert hervor, als er Jonah entdeckte. »Wir fingen schon an, das Schlimmste zu fürchten.«
»Alles in Ordnung«, versicherte Jonah.
Meurig verschloss die Pforte und folgte seinem jungen Herrn ins Haus und die Treppe hinauf. An der Tür zur Halle kam Rachel ihnen entgegen. Sie blieb wie angewurzelt stehen und brach dann ohne Vorwarnung in Tränen aus.
Jonah warf Meurig einen finsteren Blick zu, ließ seine schluchzende Magd achtlos stehen und sank müde in einen Sessel am Kamin. »Verschon mich mit dieser Sintflut«, knurrte er.
Meurig streichelte seiner Rachel unauffällig den Arm. »Geh, hol Master Jonah einen Becher Wein. Den hat er sicher nötig.« Sie nickte, wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und ging nach unten. Meurig wies auf den Kamin. »Soll ich Feuer machen? Die Abende sind schon kühl.«
Jonah schüttelte den Kopf.
»Na schön«, sagte Meurig achselzuckend und wollte gehen, aber Jonah rief ihn zurück.
»Weißt du, was aus Elia Stephens und Hillocks Lehrling geworden ist?«
Meurig winkte beruhigend ab. »Nur ein paar Kratzer. Der Junge wurde von einem Balken getroffen, als die Tribüne einstürzte, und ging zu Boden, hat Master Stephens mir erzählt. Vermutlich hätte die Menge ihn zu Tode getrampelt, es war ein gewaltiges Durcheinander, und alle rannten blind umher wie kopflose Hühner. Aber Master Stephens hat den jungen Crispin aus den Trümmern gezogen und auch viele andere gerettet. In Cheapside feiern sie ihn als großen Helden.«
Ich bin überzeugt, das gefällt ihm, dachte Jonah amüsiert.
»Aber keiner wusste, was aus Euch geworden ist. Das Letzte, was Master Stephens von Euch sah, war, wie Ihr mitsamt der Königin unter die Hufe der vielen Reiter geraten seid.« Er wies mit dem Daumen über die Schulter zur Tür. »Deswegen regt sie sich so auf. Wir haben befürchtet, Ihr wärt tot.«
Rachel kam zurück und reichte Jonah einen Zinnbecher mit Wein. Er nickte dankbar und nahm versonnen einen Schluck.
Die Magd hatte sich wieder beruhigt. »Entweder das oder im Tower eingesperrt wie all die armen Zimmerleute«, sagte sie.»Sie werden alle als Verräter gevierteilt, heißt es.« Sie bekreuzigte sich.
Jonah verzog spöttisch einen Mundwinkel. »Du solltest nicht alles glauben, was auf den Straßen geredet wird. Die Zimmerleute werden geschont. Und das verdanken sie allein der Königin.« Er wollte aufstehen, aber Ginger sprang auf seinen Schoß, drehte sich ein paar Mal im Kreis und ließ sich dann nieder.
Rachel bedachte ihn mit einem strengen Kopfschütteln. Sie stand ewig auf Kriegsfuß mit dem roten Kater und hielt nichts davon, dass Jonah ihn so verhätschelte, aber sie hatte gelernt, ihre Missbilligung für sich zu behalten.
»Gott segne die
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