Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
Königin«, sagte sie stattdessen. »Sie muss eine wirklich großzügige, wunderbare Frau sein.«
Jonah fuhr seinem Kater über die kleinen Ohren und befühlte mit der anderen Hand verstohlen den Pelzkragen des neuen Mantels, den er unter seinem leichten Sommerumhang verborgen hielt. »Das ist sie.«
Rachel nickte. »Ich hole Euch etwas zu essen, Sir. Ihr müsst ausgehungert sein.« Jonah schüttelte den Kopf. »Danke. Geht nur. Für heute habe ich alles, was ich will.«
London, Januar 1332
D er kleine Platz vor Hillocks Tuchladen war mit unappetitlichem, braunem Schneematsch bedeckt. Zwei Wochen lang hatten Frost und Tauwetter einander abgewechselt, und die Erde war so aufgeweicht, dass der unachtsame Fußgänger bis über die Knöchel im Morast zu versinken drohte. Vor dieser Gefahr war Jonah allerdings gefeit, denn er kam hoch zu Ross.
Leichtsinnig war er sich vorgekommen, als er kurz vor Weihnachten den langbeinigen, edlen Wallach gekauft hatte; die teuerste Anschaffung, die er je getätigt hatte, die keine geschäftlicheInvestition war. Doch Gervais of Waringham, der allgemein als großer Pferdekenner galt und auf seinem heimischen Gut in Kent gar selbst eine Zucht begonnen hatte, hatte ihm bei der Auswahl geholfen und versichert, dass Jonah diesen Kauf nie bereuen und viele Jahre Freude an seinem Pferd haben werde – zumal er ja ein Pfeffersack sei und nicht in schwerer Rüstung reite, hatte Gervais augenzwinkernd hinzugefügt.
Auch Martin Greene, der Warden der Tuchhändlergilde und Jonahs Pate, hatte ihm zugeredet, kein solches Geheimnis aus seinem neuen Wohlstand zu machen. Greene betrachtete seinen Schützling mit unverhohlenem Stolz und wurde es nicht müde, die anderen jungen Gildebrüder aufzufordern, sich ein Beispiel an ihm zu nehmen, was Jonah unendlich peinlich war. Zumal bei jeder Gelegenheit, da Greene seine Tüchtigkeit lobte, eine hartnäckige Stimme in Jonahs Kopf raunte: Glück. Es war nichts als Glück. Alles unverdient …
Nicht der Kontrakt als königlicher Tuchlieferant hatte ihm plötzlich so viele und große Aufträge beschert, dass er kaum mehr wusste, wo er seine Ware lagern und wie er all die Arbeit bewältigen sollte. Der Kontrakt war zwar inzwischen ausgestellt und besiegelt, doch noch hatte keine Lieferung stattgefunden. Der angeblich anstehende Krieg gegen Schottland, von dem man seltsamerweise nie ein Wort hörte, würde zumindest bis zum Frühjahr warten müssen, denn im Winter wurden keine Kriege geführt. Erst heute war die Anweisung des Lord Treasurer, des Schatzmeisters des königlichen Haushalts, gekommen, bis März fünfzig Ballen zu liefern. Nein, was ihn den ganzen Herbst über in Atem gehalten hatte, waren die Aufträge der adligen Damen des Hofes und ihrer Schneider gewesen. Sie bestellten, worin Jonah am liebsten handelte: feine Wolle, edelstes Leinen, Seide und kostbare, manchmal gar zweifarbige Mischgewebe, Waren, mit denen sich auch die größten Gewinne erzielen ließen.
Jonah war sicher, die Königin zwinge ihre Hofdamen und die Frauen ihrer Ritter, zu ihm zu kommen, und er schämte sich dessen. Es gab Tage, da wünschte er sich, all diese königliche Gunstwäre ihm erspart geblieben und er hätte wenigstens die Chance bekommen, es alleine und ohne fremde Hilfe zu schaffen.
Doch Jonah irrte sich. Die Königin hatte ihn zwar dem Lord Treasurer für einen der anstehenden Kontrakte empfohlen, aber mit niemandem sonst über ihn gesprochen. Ihre Hofdamen waren von ganz allein auf ihn gekommen. Zum einen, weil er ihrer geliebten Königin das Leben gerettet hatte. Dafür waren sie ihm dankbar. Zum anderen hatte er etwas an sich mit seinen schwarzen Augen und seiner wortkargen, manchmal beinah schroffen Art, das sie bewog, die Ware immer persönlich in Empfang zu nehmen, die er auslieferte. Sie hatten Wetten abgeschlossen, welche von ihnen ihn schließlich als Erste aus seinem Schneckenhaus locken werde. Vor allem jedoch sprach sich schnell herum, dass er die wunderbarsten Stoffe besorgen konnte und zu fairen Preisen anbot, und das gab den Ausschlag. Jonahs Verdacht, dass seine Beliebtheit bei den Damen nichts weiter als eine vorübergehende Mode sei, berücksichtigte nicht, dass sie alle unter dem enormen Druck standen, ständig mit neuen Kleidern aufzuwarten, ohne sich rettungslos zu verschulden.
Jetzt nach den Feiertagen war ihm endlich eine Atempause vergönnt, und er war hergekommen, um zu tun, was er schon seit Wochen vorhatte. Die viele Arbeit war
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