Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
ein guter Vorwand gewesen, es vor sich herzuschieben, aber heute hatte er sich endlich durchgerungen.
Er stieg vom Pferd und band es an einen Eisenring neben der Ladentür. Dabei ließ er den Blick über den kleinen Platz schweifen, die Gegend, die jahrelang sein Zuhause gewesen war. Alles schien eigentümlich geschrumpft, ein bisschen schäbiger als in der Erinnerung. Die Schmiede neben Robertsons Mietstall war geschlossen. Vor der Schenke »Zum schönen Absalom« stand breitbeinig ein Zecher und erbrach das teuer erkaufte Bier. Jonah wandte angewidert den Blick ab und schüttelte den Kopf. Ein fast ärmliches Viertel. Das war ihm früher nie aufgefallen. Jetzt war er die größeren Häuser und die besser gekleideten Menschen in der Ropery gewöhnt.
Er klopfte dem Wallach den Hals und betrat den Laden, eheihn der Mut verlassen konnte. Fast stieß er mit Crispin zusammen.
»Oh, guten Abend, Sir … Jonah! Man erkennt dich ja kaum wieder. Junge, Junge, was für ein Mantel. Ist der Kragen Biber? Und dann dieser Hut! Sehr elegant.«
»Bist du jetzt fertig?« Jonah streifte den »Hut« ab, der mehr einer engen, das Kinn umschließenden Kapuze mit einem versteckt eingearbeiteten, festen Kopfteil glich. Er hatte ihn bei einem Hutmacher in Cheapside anfertigen lassen. Wolle und Filz hatte er selbst ausgewählt, und sie glichen in der Farbe exakt dem tiefgrünen Mantel, den die Königin ihm geschenkt hatte. Diese Kapuze, vor allem aber natürlich der Mantel erfüllten ihn immer noch mit Stolz, wenn er sie betrachtete, aber natürlich sollte Crispin das auf keinen Fall merken. »Ist mein Vetter daheim?«
Crispin nickte, starrte ihn immer noch ungläubig an und senkte hastig den Blick, als er es merkte. »Warte einen Moment. Ich wollte gerade zusperren. Ich bring dich zu ihm.«
»Danke, ich finde den Weg wohl noch allein. Besser, du lässt dich vorerst nicht oben blicken.«
Der Junge sah ihn furchtsam an. »Was ist denn los? Bring ihn ja nicht in Harnisch und verschwinde anschließend.«
Jonah versprach lieber nichts, was er möglicherweise nicht halten konnte. Es war nicht seine Absicht, mit Rupert zu streiten, aber es war unmöglich vorherzusagen, wie diese Unterredung verlaufen würde. Er ließ die Kapuze auf dem Ladentisch liegen und trat durch die Hintertür, überquerte den Innenhof, dessen Beete so von Unkraut überwuchert waren, dass man meinen konnte, sie seien im vergangenen Jahr nie gejätet oder bestellt worden, und traf in der Küche auf eine Fremde, die bei seinem Anblick einen spitzen kleinen Schrei ausstieß.
»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier?«
»Jonah Durham, Master Hillocks Cousin. Wo ist Helen?«
Die neue Magd betrachtete ihn mit unverhohlenem Argwohn und schüttelte den Kopf. »Fort.« Sie war nicht mehr jung; mindestens Mitte zwanzig, und der Grund, warum sie unverheiratet geblieben war, war auf den ersten Blick offensichtlich: Siehatte eine Hasenscharte und schielte obendrein. Selbst in dieser Stadt voller entstellter, missgestalteter Kreaturen ist sie herausragend hässlich, fuhr es ihm durch den Kopf. Vermutlich hatte Elizabeth sie ausgewählt, damit Rupert ihr wenigstens im eigenen Haus einmal treu blieb.
»Master Hillock empfängt um diese Zeit niemanden mehr«, beschied sie abweisend.
»Ich bin sicher, bei mir macht er eine Ausnahme.« Er ging zur Tür. »Er braucht gar nicht zu wissen, dass du mich gesehen hast.« Und ehe sie weitere Einwände vorbringen konnte, verließ er die Küche und stieg die Treppe hinauf. Er wusste immer noch genau, welche Stufen knarrten, und machte sich absichtlich bemerkbar.
»Berit, bist du das?«, rief Rupert aus der Halle. »Wo bleibt das Essen?«
Jonah betrat den dämmrigen Raum. »Seid gegrüßt.«
Elizabeth fuhr wie gestochen von ihrem Platz auf. »Was willst du hier? Scher dich zum Teufel!«
Jonah blieb nahe der Tür stehen, verschränkte die Arme und betrachtete sie mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. Sie verliere den Verstand, hatte Crispin ihm vor einigen Monaten erzählt. Wenn es stimmte, so war es ihr zumindest nicht anzusehen. Sie war tadellos gepflegt wie eh und je, höchstens eine Spur dünner geworden, was der Grund dafür sein mochte, dass ihm der bittere Zug um ihren Mund ausgeprägter schien als noch vor einem Jahr.
»Nimm dich zusammen, Frau, er ist mein Vetter«, protestierte Rupert halbherzig.
»Verflucht soll er sein«, sagte sie leise. Es klang beinah wie ein Fauchen. »Er ist an allem schuld. Mit seinen Lügen und
Weitere Kostenlose Bücher