Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
mit aufgestickten Perlen am runden Halsausschnitt und den Ärmeln.
Sie sah ernst zu ihm auf. »Welch ein trauriger Tag, Jonah.«
Er nickte stumm. Er entsann sich genau daran, wie er sie aufgefangen und gehalten hatte, wie er in geradezu schamloser Weise auf ihr gelegen hatte, als die Reiter über sie hereinbrachen. Aber er hatte keinerlei Erinnerung daran, wie sie sich angefühlt hatte. Das war seltsam. Die flüchtige Berührung ihrer Finger vorhin in der Halle glaubte er jetzt noch spüren zu können, doch er hatte es versäumt, die wohl einzige Gelegenheit, da er die Königin je im Arm gehalten hatte, in seinem Gedächtnis zu bewahren.
»Wie seltsam, dass wir uns unter diesen Umständen wieder begegnet sind«, fuhr die Königin fort. »Fast könnte man meinen, es sei alles vorherbestimmt gewesen.«
»Ja. Das glaube ich auch.«
Sie erhob sich. »Ich wollte Euch danken.«
»Nein. Bitte nicht. Dazu besteht kein Grund, und es macht mich nur verlegen.«
Sie lächelte matt und wurde gleich wieder ernst. Sie wirkte niedergeschlagen und sehr erschöpft, fand er. Aber das war kaum verwunderlich.
»Seid Ihr sicher, dass Ihr unverletzt seid?«, fragte sie. »Die Pferde waren uns so nahe, und es waren so viele …«
»Mir fehlt nichts, Madame, seid versichert.«
»Aber Ihr sorgt Euch um Eure Freunde, die mit Euch zum Turnier gekommen waren. Daher will ich Euch nicht lange aufhalten, doch ich habe etwas mit Euch zu besprechen.« Sie unterbrach sich kurz, schien leicht zu schwanken und stützte sich mit der Linken auf die Tischkante.
»Ich kann morgen wiederkommen«, schlug er vor. »Ihr solltet Euch ausruhen.«
Sie winkte ab. »Ich bin zäher, als es den Anschein hat. Das muss ich auch sein. Niemand außer Euch käme darauf, mich zu schonen, nur weil ich von einem Balkon gepurzelt bin oder weil ich ein Kind erwarte. Nein, das ist nicht ganz richtig. Der König ist sehr rücksichtsvoll. Aber er steht vor sehr schweren Entscheidungen, und er braucht meine Hilfe.«
Ein Kind, dachte er erstaunt. Selbst in dem figurbetonten roten Kleid hatte man davon nichts sehen können. »Eure Großmut gegenüber den Londoner Zimmerleuten verwundert mich immer mehr«, bemerkte er.
Philippa hob seufzend die Schultern und schwieg einen Moment. Dann sagte sie unvermittelt: »Wir wollen uns setzen, Jonah, ja? Ich glaube, dieser Tag rechtfertigt, dass wir es mit der Etikette einmal nicht so genau nehmen.« Nachdem sie Platz genommen hatte, setzte er sich auf den Schemel ihr gegenüber. »Großmut gehört zu den Pflichten einer Königin, denkt Ihr nicht?«, fuhr sie fort. »Egal, wie sie persönlich dabei empfindet. Und wenn sie, um ihr Ziel zu erreichen, vor dem König auf die Knie gehen und ihn beschämen muss, vor den Augen der versammelten Spötter des Hofes, dann gehört auch das zu ihren Pflichten.«
»Ein hartes Los, Madame. Aber ich denke, das hat selbst den Spöttern die Sprache verschlagen. Warum …« Er brach unsicher ab.
»Warum habe ich mich für ein Häuflein unbedeutender Zimmerleute so erniedrigt? Vielleicht weil sie unschuldig waren. Unschuldig zumindest der Verschwörung, derer Edward sie bezichtigte. Ich bin allerdings nicht sicher, ob ich es getan hätte, wenn das der einzige Grund gewesen wäre. Aber es steckt vielmehr dahinter, Jonah. Der König hat ein sehr schweres Erbe angetreten. Sein Vater war ein schwacher König, wurde entmachtet und ermordet und von dem Tyrannen Mortimer und der Königinmutter ersetzt, die drei Jahre lang in Edwards Namen Schindluder mit diesem Land getrieben haben. Hätte ein Vorfall wie der heutige sich zu Mortimers Zeiten ereignet, wären die Zimmerleute als Verräter hingerichtet worden. Hätte er sich unter Edwards Vater ereignet, hätte der alte König ihnen verziehen, bis einer seiner Günstlinge ihn umgestimmt hätte, sie doch lieber wenigstens aufhängen zu lassen. Diese Zeiten sind vorbei. Der König ist ein guter Mann, wisst Ihr. Er ist jähzornig und ungeduldig wie jeder seiner Vorfahren, aber er ist ein besserer Mann als sie alle. Und es wurde höchste Zeit, dass auch die Londoner das begreifen. Darum dürfen diese Zimmerleute nicht verurteilt werden, auch wenn es kein großer Verlust für ihre Zunft wäre.«
Jonah erkannte staunend, wie kolossal er die Königin unterschätzt hatte.
»Ich sehe, Ihr seid enttäuscht, dass ich nicht das sanftmütige Lamm bin, für das alle mich halten«, bemerkte sie. »Oder sollte ich Schaf sagen?«
Jonah hob den Kopf. »Ich bin alles andere
Weitere Kostenlose Bücher