Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
als enttäuscht, Madame. Und … sehr geehrt von Eurer Offenheit.«
Plötzlich erstrahlte ihr Gesicht in einem Lächeln. Es kam ihm vor, als sei unerwartet die Sonne hinter düsteren Wolken hervorgekommen. Alle Müdigkeit war aus ihren Zügen gewichen. Und aus irgendeinem Grund schien sie erleichtert.
»Ich muss offen zu Euch sein, Jonah. Ich brauche Freunde in England. Oh, sicher, ich bin mit großer Herzlichkeit an diesem Hof aufgenommen worden, alle sind ausnehmend zuvorkommend zu mir. Aber ich brauche eigene Freunde, die sich im Zweifelsfalle auch gegen den König auf meine Seite stellen, wenn es gelegentlich nötig ist, ihn zu seinem Glück zu zwingen. So wie Ihr es heute getan habt.«
Jonah senkte den Blick. Er fürchtete, wenn er sie weiter anschaute, würde sie wissen, wie es um ihn stand. »MeinerFreundschaft könnt Ihr Euch immer sicher sein, Madame«, sagte er leise. »Nur, was könnte sie Euch nützen? Ich bin ein Niemand. Weder reich noch mächtig, und ich habe mit diesem Hof doch überhaupt nichts zu tun.«
»Das lasst nur meine Sorge sein«, entgegnete sie. »All das lässt sich ändern. Es wird Krieg geben, Jonah. Bald.«
»Mit Schottland?«
Philippa nickte. »Erst einmal.«
»Erst einmal?«
Sie lächelte nachsichtig. »Der König und die jungen Heißsporne, mit denen er sich umgibt, können es kaum erwarten, dass es endlich Krieg gibt. Sie sind wie trunken von ihrem Rittertum, versteht Ihr, und ihre Waffenkunst und Tapferkeit immer nur in Turnieren zu beweisen reicht ihnen auf Dauer nicht. Mortimer und meine geliebte Schwiegermutter Isabella haben in Edwards Namen einen Frieden mit Schottland geschlossen, der dem König nachts den Schlaf raubt.«
Jonah nickte. Das konnte er verstehen. Jeder Engländer empfand diesen Frieden als schändlich, der den Schotten die umstrittenen Grenzgebiete und Befreiung von englischer Oberherrschaft zugestand.
»Der König will diesen Makel von seinem Ruf tilgen und den Grenzgebieten den Frieden zurückbringen. Vor allem aber will er der Welt beweisen, dass sie mit Englands Armeen in Zukunft wieder rechnen muss. Ganz besonders will er dies dem König von Frankreich beweisen.«
»Frankreich?«, wiederholte Jonah verständnislos.
Philippa verschränkte die Hände im Schoß und nickte seufzend. »Ihr wisst vermutlich, dass Edward nicht nur König von England, sondern auch Herzog von Aquitanien ist?«
»Natürlich.«
»Weil das so ist, glaubt mein geliebter Cousin Philip, der König von Frankreich, Edward sei ihm lehnspflichtig. Das behagt Edward natürlich nicht, und das kann er sich auch nicht erlauben, aber wenn er sich weigert, besetzt Philip Edwards aquitanische Burgen. Seit über hundert Jahren ist Aquitanien die Geiselfranzösischer Könige gewesen, um Druck auf England auszuüben, und dem wird Edward ein Ende machen.«
»Aber ehe er das tun kann, muss er die Schotten bezwingen, die seit jeher mit Frankreich paktieren«, schloss Jonah.
Philippa nickte beifällig. »Euch muss man nicht viel erklären, nicht wahr? Ihr seht also, die Tage der faulen Friedensverträge und der unangefochtenen französischen Überlegenheit sind gezählt. Aber es wird seine Zeit brauchen. Viele Voraussetzungen müssen geschaffen werden. Zum Beispiel braucht der König eine Armee. Das wird nicht weiter schwierig sein. Bedenkt man die Stimmung gegen Schottland, werden die jungen Männer dem König vermutlich in Scharen zuströmen. Aber eine Armee muss unterhalten werden. Auch gekleidet. Hier kommt Ihr ins Spiel. Ihr bekommt einen Kontrakt als Tuchlieferant zur Ausrüstung der königlichen Truppen. Wollt Ihr das?«
Jonah hatte plötzlich Mühe zu atmen. Ein Kontrakt. Zur Ausrüstung der königlichen Truppen. Ein Kontrakt war praktisch gleichbedeutend mit reich. Er räusperte sich. »Ja, Madame.«
»Dann ist es abgemacht«, sagte sie geschäftsmäßig, in einem Ton, als habe sie ein paar Ellen Seide bei ihm bestellt, nicht als habe sie ihm eine Möglichkeit eröffnet, von der die meisten Kaufleute ein Leben lang vergeblich träumten. Und sie ließ ihm diese Chance einfach so in den Schoß fallen, beinah beiläufig. Wenn man es genau betrachtete, hatte sie das vor einigen Monaten schon einmal getan. All dies unverdiente Glück war ihm ein bisschen unheimlich. Es schien ihm nicht redlich erworben. Der Gedanke, wie tief er ihr verpflichtet war, schreckte ihn nicht. Da er ihr ohnehin schon verfallen war, machte das keinen großen Unterschied mehr. Nur die Vorstellung, dass er sie
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