Der Koenig geht tot
wo sie wirklich angenommen sei.« Max verbarg sein Gesicht in den Händen und schluchzte leise. Ich fragte mich, wie oft er diese Geschichte in seinem Leben schon erzählt hatte. Einmal, zweimal? Er mußte all dies ständig mit sich herumtragen wie eine Last, die man nie abwerfen kann.
»Max«, sagte ich, »du warst überfordert. Kein Mensch hätte anders reagiert. Du konntest ja nicht ahnen«
»Ich habe einen Fehler gemacht«, sagte Max langsam, »und diesen Fehler werde ich nie wiedergutmachen können. Ich muß damit leben, so ist das nun mal.«
»Du hast dein Studium geschmissen?« fragte Alexa vorsichtig.
»Ja, zur Betrübnis meiner Eltern, die von diesem Tag an nie wieder auch nur einen meiner Gedanken, auch nicht das leiseste Gefühl verstehen konnten. Sie hatten nur meine Karriere im Kopf, die nun unweigerlich auf dem Spiel stand. Sie haben nicht ein einziges Mal das richtige Wort für meine Situation gefunden. Sie haben nicht ein einziges Mal nach Natascha gefragt. Sie gaben sich allein der Sorge hin, daß ich mein Studium jetzt nicht in Bestzeit würde abschließen können.«
Dann weinte Max. Er weinte lange und hemmungslos. Wenn ich an diesen Abend zurückdenke, so höre ich noch minutenlang ein verzweifeltes, hemmungsloses Schluchzen.
17
Der Donnerstag morgen hätte eigentlich ein fröhlicher Abschluß des Schuljahres werden sollen. Die Schüler waren gut gelaunt, zum großen Teil jedenfalls, soweit das Zeugnis das zuließ. Und die Kollegen waren zwar erschöpft von den letzten anstrengenden Wochen, aber trotzdem in ausgelassener Stimmung, weil sechs schul- und schülerfreie Wochen anstanden. Die Planungen für die Ferien waren so unterschiedlich wie die Kollegen selber. Roswitha Breding, meine pummelige Chemie- und Biokollegin, freute sich auf eine Wandertour durch Norwegen. Mein wuseliger Chemiekollege Frank Seling stürmte in die Endphase seines Hausbaus, die mit dem Einzug in der letzten Woche gekrönt werden sollte, und Gisela Erkens startete in eins ihrer geschätzten Selbstfindungsseminare. Nach der dritten Stunde, in der die Schüler in die Ferien entlassen wurden, gab es einen kleinen Umtrunk im Lehrerzimmer. Ich war noch verkatert von den Gesprächen des vergangenen Abends und hatte mich etwas abseits gestellt, um die ausgelassenen Kollegen aus der Distanz zu beobachten. Dieser Zustand hielt nicht lange an. Antonius Becker, ein älterer Lateinkollege, versuchte mich zu überreden, mich nach den Ferien in den Lehrerrat wählen zu lassen. Dann steuerte Leo, mein Sportkollege, auf mich zu.
»Was hast du eigentlich vor?« fragte er gut gelaunt. Leo wollte sich schon am Tag darauf zu einer Kanufahrt nach Südfrankreich aufmachen. Ich selbst hatte da weniger zu bieten. Mein Urlaub mit meinem Kölner Freund Robert mußte erst noch genauer geplant werden.
»Alexa muß arbeiten«, erklärte ich. »Ich werde ein paar Tage hier ausspannen und danach einige Zeit in Köln verbringen.« Allein bei dem Gedanken daran glimmte ein Freudenfunken in mir auf. »Von da aus werde ich mit Robert nach Griechenland aufbrechen. Wir haben nichts gebucht. Es soll ein Spontanurlaub werden.«
»Bei 50 Grad auf der Akropolis würde es mir spontan zu heiß«, sagte Leo trocken und grinste. Im selben Moment gesellte sich Bernhard Sondermann zu uns. Auch er war in ausgesprochen vergnügter Stimmung.
»Na, hat sich wieder das Stichlingser Aufklärungsteam versammelt?« fragte er scherzhaft.
»Wir überlassen die Ermittlungen lieber der Polizei«, antwortete ich trocken. HeSieda ließ sich nicht die gute Laune verderben.
»Wie ich hörte, läßt die Polizei nicht locker. Die Stichlingser Bevölkerung scheint ja heftig aufgemischt zu werden.«
»Jaja, die Aufklärung eines Verbrechens bringt viele Nebengeheimnisse zutage«, murmelte ich altklug. Ich hatte mal im Studium eine Vorlesung darüber gehört.
»Ja, ein Schützenverein hat so einiges in sich«, plauderte Sondermann, der ganz offensichtlich in der Stimmung war, eine Reihe von Allgemeinplätzen von sich zu geben.
»Ein Geflecht von Pöstchenschieberei, wirtschaftlichen Interessen und Ausnutzung von Idealisten.« Ich hatte das Gefühl, Sondermann beschrieb die innere Struktur einer Mafiagesellschaft. Natürlich hatte sich inzwischen herausgestellt, daß selbst in einer christlichen Bruderschaft, die sich das Motto »Glaube, Sitte, Heimat« auf die Fahne geschrieben hatte und sich für das Ausleben harmloser Geselligkeit einsetzte, nicht alles zum besten
Weitere Kostenlose Bücher