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Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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sie um die Taille einen Gürtel trug, woran ein Dolch in seiner Scheide hing.
    »Wie, Marquise, tragt Ihr immer eine Waffe?«
    »Immer. Ich lebe in einem alleinstehenden Haus, meine Knechte schlafen woanders und wären auch zu täppisch, mir Beistand zu leisten. Wir haben hier in den Corbières Räuberbanden, die vergewaltigen, morden, rauben und ein Haus, das sie verwüstet haben, nachher in Brand stecken. Deshalb halte ich immer zwei geladene Pistolen bereit und ebenso zwei geladene Arkebusen, um mich zu verteidigen, und damit es auch jeder weiß, übe ich mich in aller Öffentlichkeit im Schießen. Da ich außerdem eine der wenigen Frauen weit und breit bin, die einige Reize hat, wäre ich auch leicht der Rohheit mancher dreisten Galane ausgesetzt, wenn sie nicht wüßten, daß ich mit einem Dolch umzugehen weiß.«
    »Alle Wetter! Das ist ja bedrohlich!« sagte ich. »Und wenn ich Euch jetzt plötzlich in die Arme nähme, würdet Ihr mich dann erdolchen?«
    »Todsicher, Herzog!« sagte sie mit einem charmanten kleinen Lächeln. »Aber da Ihr auf Eurem Malteserkreuz eine weiße Taube tragt, würde ich Euch nur einen kleinen Kratzer beibringen.«
    »Allerbesten Dank, Madame. Aber noch eine Frage: Seid Ihr eine so große Männerfeindin?«
    »Überhaupt nicht! Ich bin ihnen so zugetan, wie eine Frau es nur sein kann, und wie es ein Mann den Frauen sein kann, und wenn sie mir gefallen und nicht grob oder überheblich sind, mache ich ihnen die Dinge so einfach, wie es mir gefällt. Aber kommt, Herzog, es ist spät, wir sollten zur Ruhe gehen.«
    Dieses »wir« klang mir süß in den Ohren, und pochenden Herzens stieg ich hinter ihr die Treppe zu den Schlafzimmern hinan. Sie zeigte mir meins, das neben dem ihren lag, und indem sie den Dolch von ihrem Gürtel löste, reichte sie ihn mir mit einem Lächeln.
    »Herzog, bitte, nehmt meine Waffe zum Pfand«, sagte sie, »dann seid Ihr meiner Gesinnung sicher, zumal weder mein noch Euer Zimmer Schloß oder Riegel hat. Was mich angeht, bin ich ohne Dolch wie eine Festung ohne Mauern, doch das schreckt mich nicht. Ich bin sicher, daß Ihr mich diese Nacht von nahem beschützen werdet.«
***
     
    Als in der Frühe die »rosenfingrige« Morgenröte, wie Homer sagt, sich erhob, schlüpfte ich in mein Zimmer, warf mich aufs Bett, und weil ich nicht mehr schlafen konnte, überließ ich mich einer Gewissensprüfung, wie die Priester es nennen. Genauer gesagt, ich stellte die Regeln in Frage, auf denen meine Kirche beharrt, ohne daß diese durch einen biblischen Text gerechtfertigt wären. Das erzwungene Zölibat zum Beispiel entmenschlicht den Priester, die Probleme, mit denen die Menschen zu kämpfen haben, sind ihm fremd. Das Geschlecht aber läßt sich nicht so leicht unterdrücken. Und seiner natürlichen Wege beraubt, nimmt es bei den Priestern oftmals den unnatürlichsten und wirft sich auf die Männerliebe, eine berüchtigte Geißel innerhalb der Kirche, was jedoch aus Angst vor Skandal eher vertuscht als bestraft wird. Und liegt nicht auch eine komische Schikane in der Vorschrift, daß die Haushälterin eines Pfarrers das »kanonische Alter« erreicht haben muß, das heißt jenes Alter, in dem eine Frau zwar nicht den Liebesfreuden zu entsagen braucht, aber keine Kinder mehr bekommt?
    Gewiß meine ich, daß die zehn Gebote gut sind und daß sie recht haben, wenn sie einem Mann verbieten, daß er die Frau seines Nachbarn begehrt. Wenn aber mein Nachbar stirbt, darf ich meine Nachbarin auch dann nicht begehrenswert finden? Bleibt noch das Problem der Treue, und da, Leser, schlage ich mir ja reumütig an die Brust, denn es ist unleugbar, daß ich in dieser betörenden Nacht gesündigt habe, und mein Gewissen ist an diesem Morgen alles andere als rein gegenüber meinerCatherine, die solchen Verrat nicht verdient hat, so kurz er auch war. Manchmal bin ich wahrhaftig versucht, den Himmel anzuklagen und zu fragen, warum er mir bei der Geburt eine so leicht entzündliche Liebe zum weiblichen Geschlecht eingegeben hat, daß ich beim ersten Gesang einer Sirene ins Wasser springe, um zu ihr zu gelangen – und sollte ich, wie es in der Sage heißt, dabei ertrinken.
    Nicolas riß mich aus diesen vielleicht nicht ganz orthodoxen Gedanken, als er an meine Tür klopfte. Er meldete mir, daß Ludwig zum Aufbruch binnen einer Stunde habe blasen lassen. Der Befehl wurde meiner Eskorte übermittelt, die im neuen Pferdestall schlief, sowie den Mägden und Köchinnen, die uns sogleich ein üppiges

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