Der König ist tot: Roman (Fortune de France) (German Edition)
einen ganzen Nachmittag im Park des Schlosses mit Ludwig spielte und ihm zum Abschied meine Armbrust schenkte. Noch zwanzig Jahre später hatte er diese Gabe nicht vergessen und mich liebreich »Sioac« genannt wie damals, als er das
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noch nicht sprechen konnte. So hart und unerbittlich – weit mehr übrigens als Richelieu – Ludwig sich in Reichsangelegenheiten gegenüber denjenigen zeigte, die sein Vertrauen verrieten, konnte er im Privatleben doch voll tiefer Zuneigung für jene sein, die ihm dienten. Nichts ist verkehrter als die Legende von seiner Misogynie. Er war, im Gegenteil, äußerst empfänglich für weibliche Reize, und wenn er auch gegenüber Frauen, die er liebte, die »leuchtende Schwelle der Freundschaft« nie überschritt, so nur aus Respekt vor den Geboten der Kirche und durchaus nicht etwa aus Herzenskälte.
Die haßerfüllten und erbitterten Gegner des Kardinals behaupteten, Ludwig habe sich durch Richelieus Tod erleichtert gefühlt und sei froh gewesen, seiner Tyrannei entronnen zu sein. Diese leichtfertigen Schwätzer unterstellten dem König unbedacht die eigenen Gefühle. Ich habe tausend Zeugen dafür, daß der König den Tod seines »besten Dieners« beweinte, der ihm mit seinem Genie, seiner Hellsicht und seiner unerhörten Arbeitsleistung geholfen hatte, Frankreich auf den höchsten Stand seiner Größe zu führen.
Auf Schloß Saint-Germain bewohnte Ludwig nicht die Zimmer seiner Kinderjahre, sondern die der Königin, weil deren Fenster eine so schöne Sicht auf Saint-Denis boten, das leiderbald seine letzte Ruhestätte sein würde. Bis zum dritten April stand der König jeden Tag vom Bett auf, ließ sich ankleiden und unternahm, rechts und links von seinen Leibdienern gestützt, denen stets ein Stuhlträger folgte, eine Wanderung durch die Galerien des Schlosses, indem er von Zeit zu Zeit auf dem Lehnstuhl ausruhte, erschöpft, aber zufrieden, daß er sich trotz allem einige Bewegung machen konnte.
Abends, wenn es dunkel wurde, ließ er sich vorlesen aus dem Leben der Heiligen oder aus der
Einführung in ein frommes Leben
von Franz von Sales. Nachdem er mit aller Aufmerksamkeit gelauscht hatte, betete er selbst mit lauter Stimme und flehte die Göttliche Majestät nicht um seine Genesung, sondern um eine Abkürzung seines Leidens an.
Am einundzwanzigsten März, da er den Tod nahen fühlte, rief Ludwig die Königin, Gaston, den Prinzen von Condé und die Staatsminister, daß sie sich in seinem Gemach versammelten. Sowie sie beisammen waren, hieß er seinen Hofmeister die Vorhänge seines Bettes aufziehen, damit der ganze Hof ihn sehen und hören könne. Er verlangte, daß man ihn im Bett aufsetze, indem man seinen Rücken durch Kissen stützte, er hob die Rechte, um Schweigen zu gebieten, ließ seine Blicke über die Anwesenden schweifen und begann mit klarer Stimme zu sprechen.
»Meine Herren«, sagte er, »heute, am einundzwanzigsten März, erkläre ich die Königin zur Regentin nach meinem Tod.«
Die Königin saß zu Füßen des königlichen Bettes auf einem vergoldeten Stuhl. Sie war blaß, niedergeschlagen, Tränen rannen über ihre Wangen. Aller Augen wandten sich ihr zu, und mochten diese auch sehr ehrerbietig sein, schien diese Ehrerbietung mir doch mit einiger unverhohlenen Furcht gemischt, denn bis jetzt hatte die Königin sich nicht sehr loyal gegen das Reich gezeigt, dessen Königin sie war.
Am selben Tag wurde in der Kapelle des alten Schlosses von Saint-Germain der Dauphin getauft, und aus einleuchtenden Gründen erhielt er nun den Namen Ludwig, und nicht Louis Dieudonné, wie er bei seiner Geburt genannt worden war. Ich sah ihn bei dieser Zeremonie von nahem, und er gefiel mir sehr. Er war erst fünf Jahre alt, ein schönes Kind mit lebhaften Augen, stämmig gebaut und überaus einnehmend, mit raschem Wort begabt, vielleicht ein wenig zu rasch.
»Nun, mein Sohn«, sagte Ludwig mit freundlicher Miene, »da man Euch heute getauft hat, könnt Ihr mir gewiß sagen, wie Ihr heißt.«
»Ludwig XIV.«, sagte ungescheut der Dauphin.
Diese Antwort grenzte, sicherlich ungewollt, an eine Frechheit, und wir befürchteten, daß der König sie übel nehmen werde. Doch ganz im Gegenteil, Ludwig lächelte und sagte in gutmütigem Ton: »Noch nicht, mein Sohn! Noch nicht!« Und ich war sehr gerührt, daß Ludwig am Rand des Grabes noch die Kraft hatte, so duldsam und liebreich mit seinem Sohn zu sprechen.
Es war für alle ganz offensichtlich, daß Ludwig den Tod nicht
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