Der König muß sterben
Stadt war aussichtslos.
Die Menge johlte. Kleine Jungen warfen Steine auf die beiden Opfer, denen man jetzt die Kapuzen vom Kopf zog. Henri kannte die Unglücklichen nicht, deshalb war er sicher, dass auch sie ihn in der Menge nicht erkennen konnten. Waschweiber mit krummen Rücken und roten Händen sprangen jetzt zeternd vor und bespuckten die Gefangenen. Die Ritter trieben sie halbherzig zurück. Wieder kamen von hinten Steine und Abfall angeflogen, auch die Bewacher wurden nun davon getroffen.
»Hängt sie alle auf! Ketzer und Kirchenfürsten gleichermaßen!«
»Und die anderen Herren gleich noch dazu!«
»Nur die einfachen Leut’ sollen regieren!«
Henri schüttelte den Kopf. Dieses Land war in Aufruhr. Die Zeiten von Recht und Gesetz schienen vorbei. Jetzt regierten Willkür und blanker Hass. Die Menge drängte nach vorn, Henri wurde geschoben, Ellenbogen stießen in seine Rippen.
Während er darum kämpfte, nicht niedergetrampelt zu werden, ging es ihm durch den Kopf, ob er nicht selbst ein menschliches Teil dieser chaotischen Zustände war. Gefangen in den Krallen seiner eigenen Rachegelüste? Das stimmte. Aber er hatte einen Grund für seinen Hass – unschuldige Menschen zu rächen. Die Königlichen konnten keinen Grund anführen – außer ihrer Gier nach Macht und Besitz. Henri hoffte inbrünstig, dass der Herrgott auf seiner Seite war.
Den Gefangenen wurden die Schlingen um die Hälse gelegt. Henri musste sich beherrschen, um nicht nach vorn zu stürmen, die Bewacher niederzustrecken und die Unglückseligen zu befreien. Aber es wäre sein eigenes Ende gewesen. So kniete er nieder und bekreuzigte sich.
Und während hinter dem Schafott schon die Scheiterhaufen angezündet wurden, um die sterblichen Überreste der Gehenkten in Feuer und Glut aufzunehmen und zu reinigen – so verstand es die Logik der Henker –, stand Henri auf und ging davon. Er ertrug den Anblick nicht. Es hätte sein Herz zerrissen, als wäre er selbst dort oben, wo sich in diesem Moment die Henkerschlingen spannten, weil im Boden des Podestes die Fallklappen mit einem dumpfen Laut aufgesprungen waren.
Die Gehenkten schwangen hin und her. Die Menge seufzte auf und schwieg dann endlich.
Auf dem Weg zurück zum Stellmacher gab sich Henri einen Ruck. Er wollte sich vor seinen Gehilfen nichts anmerken lassen. Mit ausdrucksloser Miene löste er sein Fuhrwerk aus und trieb die Gehilfen an. Er ließ anspannen. Und eine halbe Stunde später, während die Kirchenglocken das Ende des schrecklichen Schauspiels anzeigten, fuhr die kleine Karawane aus Domfront hinaus.
Als die Stadttore sich hinter ihm schlossen, atmete Henri auf. Vor ihm lag die flache, wasserreiche Landschaft der östlichen Bretagne, und er wusste jetzt, dass er versuchen musste, ein Versteck auf dem Land zu finden. Vielleicht war die kleine, verlassene Templerburg in Flers dafür geeignet. Vielleicht war auch ein ganz anderes Versteck nötig, an das er jetzt noch gar nicht dachte.
Sie kamen gut voran. Die Gesellen sagten kein Wort, und auch Henri verspürte keine Lust, etwas zu sagen. Es wurde Abend. Sie rasteten an einem See. Sollte er den Schatz auf dem Grund dieses Sees versenken? Er war ja ohnehin schon in fischölgetränktes Leinen eingewickelt.
Nach reiflicher Überlegung nahm er von diesem Gedanken Abstand, er war zu gewagt.
Am nächsten Morgen ging es vor Sonnenaufgang, als die Luft noch kühl war, weiter. Und noch immer wusste Henri de Roslin nicht, wo er sein Versteck finden würde.
Sie fuhren jetzt nach Westen, passierten einen Fluss namens Selune und die Stadt Saint Hilaire. Immer wieder kontrollierte Henri seine kostbare Fracht, zurrte die Seile nach und achtete auf eventuelle Beschädigungen der Fässer. Denn die Straße war schlecht, Schlaglöcher bedeckten ihren Belag, und die Räder brachen immer wieder tief ein.
Aber dann wurde der Weg besser, und die Fahrt blieb eine Weile ereignislos. Da die Gegend, durch die sie jetzt zogen, topfeben und sumpfig wurde, war es aussichtslos, nach einem Versteck Ausschau zu halten. Wieder musste Henri an die Geschehnisse der Vergangenheit denken.
Es war bereits im Jahr des Herrn 1307 gewesen, als der ruchlose Brief König Philipps bekannt wurde. Er hatte Haftbefehle erlassen. Es war einem glücklichen Umstand zu verdanken, dass ein Sekretär des Ordens diesen Brief auf dem Schreibtisch des Papstes sah. Und schon eine Woche später brachen einige Templer auf, um sich in Sicherheit zu bringen. Dazu gehörte der
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