Der König muß sterben
Leitern kam man in einen ansteigenden Burgteil, den ein weiterer, sehr starker Mauerring mit Wehrgängen umfasste, in denen Soldaten patrouillierten. Links vom Haupttor erhob sich ein anderer, an den Ecken verstärkter Rundturm, von dem Bewaffnete zu ihm herunterblickten. Aus dieser Festung zu entkommen dürfte schwierig sein, dachte Uthman. Und er betete zu Allah, der neun Namen trug, und bat um seinen Beistand.
Die Gänge in den drei Stockwerken, durch die er geführt wurde, besaßen ein Deckengewölbe mit Kreuzrippen und auffällig tief herabhängenden Schlusssteinen. Einmal kam ihnen eine junge adlige Dame entgegen, die in einem Brevier las. Ihre Hände waren von Seidenhandschuhen verdeckt, die nur die Fingerspitzen frei ließen. Dann wurde eine letzte Tür geöffnet, und die Wachen bedeuteten ihm, zu warten.
Uthman sah sich um. Der Raum, in dem er sich befand, war mit ungewöhnlich zahlreichen und großen Kuppelfenstern versehen, durch die das Sonnenlicht ungehindert einfiel. Erst jetzt merkte er, dass er schwitzte. Aber das kam nicht allein von der Sonnenhitze.
Er wurde sich erneut bewusst, in welch heikler Lage er sich im Augenblick befand. War es nicht unglaublicher Leichtsinn, den Attentatsplan ausgerechnet in einer so gut gesicherten Burg ausführen zu wollen? Aber welche Burg war dies nicht? Und auf jeden Fall schien es hier nicht schwerer zu sein als im Dominikanerpalast von Avignon.
Uthman vertraute auf Allahs Beistand und auf seine eigene Stärke.
Eine Tür wurde aufgerissen. Ein Mann stolzierte herein, der gewandet war wie ein Stutzer. Er besaß eine dünne, aber breitschultrige Figur, blondes, dünnes Haupthaar und einen zitternden Schnauzbart. Der Edelmann ging mit in die Seiten gestemmten Armen um ihn herum.
»So, Ihr wollt also Sarazene sein, wie? Leibarzt des Muftis, wie?«
Er ließ plötzlich eine prasselnde Salve von arabischen Lauten auf Uthman niedersausen, es hörte sich an wie explodierendes Schwarzpulver in dünnen Eisenrohren.
Uthman begriff, dass der Edelmann seine »Echtheit« ergründen wollte, und antwortete belustigt mit einfachen arabischen Sätzen. Sein Gegenüber war nicht überzeugt, schien sogar noch misstrauischer zu werden.
»Warum sollte ich Euch glauben?«
»Ihr sollt es nicht.«
»Sondern?«
»Ich bin aus dem einzigen Grund hier, dass ich zum christlichen Glauben übertreten möchte. Ihr, Herr Ritter, seid mir gleichgültig.«
»Was?! Seid Ihr geistesverwirrt?! Wisst Ihr nicht, wer ich bin?«
»Nein. Es ist mir auch ganz gleich.«
Der Edelmann heulte auf. »Ich bin der Ritter von Pierrefonds, aus der bedeutendsten Burg zu beiden Seiten der Rhone! Ich besitze den größten Donjon und den prächtigsten Palas, den jemals ein Baumeister baute.«
»Ich beglückwünsche Euch dazu, Monsire. Aber jetzt lasst mich bitte zum Herrn Ritter Guillaume Ricard vor.«
Bevor er platzte, holte Herr Pierrefonds tief Luft, wobei er rot anlief. Dann wurde er bleich und beruhigte sich. Er wendete sich wortlos um und stapfte hinaus, die schwere Eichentür schloss sich hinter ihm.
Kurze Zeit darauf kamen zwei Wachen. Sie bedeuteten Uthman, die Waffen abzulegen, die er besaß. Der Sarazene legte Dolch und Schwert vor sich auf den Boden. Die beiden Soldaten musterten ihn mit kalten, erfahrenen Blicken. Dann winkten sie ihn in den angrenzenden Raum. Hier bot sich Uthman ein Bild, wie er es seit seiner Jugend immer vor Augen gehabt hatte. Ein Bild, das er herbeibeschworen, verachtet und gefürchtet hatte. Es hatte ihn in seinen Vorstellungen bis in das Mannesalter hinein niemals verlassen.
Er fühlte sich in diesem Augenblick nicht nur wie Uthman ibn Umar, der gekommen war, den Papst zu ermorden, sondern auch wie der Repräsentant seines Volkes, das verfolgt und bekämpft worden war, das unendlich gelitten und sich blutig verteidigt hatte. Er fühlte sich wie ein ausgewählter Sarazene aus fünf Generationen Kämpfern gegen das rücksichtslos einfallende Christentum.
Er beherrschte sich nur mühsam.
Vor sich sah er das himmlische Bild, das sie immer von sich entworfen hatten. Unten die Heerscharen, jetzt verkörpert von waffenstarrenden Edelmännern, die ihm feindselig entgegenblickten. In der Mitte die ausgewählten Herren mit bleichen Gesichtern und verkniffenem Mund. Und oben Gottvater. Der Sarazene erkannte ihn sofort, er hatte ihn schon einmal gesehen, und er trug die Tiara des Papstes auf dem Kopf. Der fünfte Clemens in der Chronologie der Heiligen Väter auf dem Stuhl des
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