Der König und die Totenleserin3
kann er denn bei so was friedlich weiterschlafen?«
Nach vorherrschender Meinung hatten die seligen Toten von Glastonbury sich einfach nicht ordnungsgemäß verhalten.
Als Emma eintrat, wurde ihr die Neuigkeit sogleich berichtet, und auch sie war erschüttert. »Glastonbury?«
»Aye. Das hättet Ihr nicht gedacht, was?«, sagte der Bürger aus Yorkshire. »Und es war ein rechter Feuersturm, wie man hört; kein Stein mehr auf dem anderen, nicht einer, so ein Jammer. Und ich wollte mir den Segen von Josef von Arimathäa holen.« Er schüttelte den Kopf. »Hätte früher aufbrechen sollen.«
Die Äbtissin aus Cheshire war weniger aufgebracht. »Ich hab ja gleich gesagt, wir sollten nach Canterbury. Beim heiligen Thomas können wir sogar auf noch mehr Heiligkeit zählen, wo er doch der neueste Märtyrer ist. Ha, wer hätte gedacht, dass ein so frommer Heiliger von seinem eigenen König ermordet wird …«
Der Yorkshire-Mann fiel ihr brüsk ins Wort. Die Reisegefährten der Äbtissin hatten genug von ihren Tiraden über die Niedertracht Henry Plantagenets, der lauthals den Tod seines widerspenstigen Erzbischofs verlangt hatte. Er sagte: »Aye, nun denn, dann reisen wir eben jetzt dorthin – nach Canterbury.« Aus den Knochen und Reliquien von Glastonbury war nun, da sie zu Asche verbrannt waren, kein Segen mehr zu gewinnen, viel jedoch aus den Phiolen mit dem Blut des heiligen Thomas à Becket, die in der Kathedrale verkauft wurden, in der er gestorben war.
Nachdem die Rechnungen beglichen waren und das Gepäck verschnürt, gratulierten die Pilger Emma zu ihrem Triumph beim Gerichtskampf, den sie, wie sie beteuerten, sehr kurzweilig gefunden hatten, und verabschiedeten sich von ihr. Der Mann aus Yorkshire küsste ihr die Hand. »Wir sind überaus traurig, Mylady, Euch nun verlassen zu müssen.«
»Auch mich bekümmert es.« Emma meinte das ehrlich. Ohne die Pilger und mit dem außer Gefecht gesetzten Master Roetger würde die Reise nach Wells sehr viel gefährlicher werden.
Adelia nahm sich nicht die Zeit, ihnen zum Abschied zu winken; sie war bereits damit beschäftigt, für die Ruhigstellung der Ferse zu sorgen.
Gyltha wurde in die Küche befohlen, wo sie die Beinwellwurzeln im größten Mörser, den das Gasthaus besaß, zu Brei stampfen sollte, während Mansur, ausgestattet mit Axt, Schnitzmesser und genauen Anweisungen, losgeschickt wurde, um eine Esche und eine Weide zu suchen. Adelia selbst sicherte sich die Hilfe von Emmas dienstälterem Reitknecht Alan, und die beiden waren im Stallhof zu sehen, wo sie Skizzen in den Sand zeichneten.
Um die Dinge zu erleichtern, wurde Master Roetger zum Trosswagen getragen und dort so auf Kissen gelegt, dass seine Beine über die Ladeklappe baumelten und das verletzte, das nackt war, behutsam auf einen Sägebock gebettet werden konnte. Das Manöver sorgte unter den Dienern des Gasthauses für große Aufregung, und sie liefen in der irrigen Hoffnung herbei, dem Sarazenenarzt – Mansurs angenommene Rolle – dabei zuschauen zu können, wie er eine Amputation vornahm.
Stattdessen sahen sie Gyltha, die einige Beinwellblätter an die Ferse hielt, während Adelia sie mit der unangenehm riechenden grünlich schwarzen Paste aus dem Mörser bestrich und vorsichtig andrückte, bis schließlich der gesamte Fuß einschließlich der Sohle und des unteren Schienbeins damit ummantelt war.
Nach scharfen Worten aus dem Munde des Wirts machte sich seine Dienerschaft wieder an die Arbeit – schließlich gab es nichts anderes zu sehen, als dass die sattsam bekannte Heilpflanze Beinwell von zwei Frauen auf eine Verletzung aufgebracht wurde.
Als der Fuß fertig war, wurde der gebrochene Arm ebenso verarztet. Der Schmerz presste dem Patienten den Mund zu einer dünnen Linie zusammen, und Schweiß glänzte in den Furchen auf seiner Stirn, aber er versuchte, Interesse zu zeigen.
»In meiner Heimat essen wir die Pflanze auch«, sagte er. »Wir nennen sie Schwarzwurz. Sie schmeckt gut, wenn man sie paniert und brät.«
Adelia merkte auf. Englands Bauern aßen gekochten Beinwell als Gemüse, ebenso wie Nesseln. Aber die Blätter in Milch, Eier und Mehl zu tunken zeugte von einer höheren Lebensart.
»Und jetzt panieren wir dich«, sagte Gyltha zu ihm, was ihm ein Lächeln abrang.
Als Adelia fertig war, trat sie einen Schritt zurück. »So. Wie fühlt sich das an?«
»Sechs Monate, wirklich?«
»Ich fürchte ja.«
»Aber ich werde wieder gehen können?«
»Sicher«, antwortete sie
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