Der König und die Totenleserin3
ja?«, sagte Emma, erneut scheinbar recht desinteressiert.
»Ja. Und als sie schließlich nach Salerno zurückkehrten, hatten sie zweierlei erfahren, nämlich erstens, dass Frauen zu allen Zeiten versucht haben, Herrin über ihren Körper zu werden, und zweitens, welche Methoden sie dafür verwenden.«
»Du meine Güte«, sagte Emma leichthin.
»Ja«, sagte Adelia. Und weil sie nun mal Adelia war, für die die Verbreitung von Wissen eine Herzensangelegenheit darstellte, die den Zuhörer selbstverständlich ebenso faszinieren musste wie sie selbst, begann sie mit einer detaillierten Beschreibung der unterschiedlichen Methoden, mit denen Männer und Frauen zu unterschiedlichen Zeiten versucht hatten, die Freiheit zu erlangen, selbst zu entscheiden, wie viele Kinder sie versorgen konnten. Zuerst sprach sie von »Behältnissen«, Umhüllungen für den Penis, die verschiedene Völker aus Schafshäuten oder Schlangenhäuten anfertigten, mitunter in Essig oder Zitronensaft getränkt. »Sie sind wirkungsvoll, meinte meine Mutter, doch viele Männer tragen sie nicht gern.«
Dann kam das Thema des Coitus interruptus, der biblischen Sünde des Onan, der durch das jüdische Gesetz gezwungen wurde, die Frau seines Bruders zu heiraten, und seinen Samen auf die Erde fallen ließ, damit sie nicht schwanger wurde. »Aber auch hier gilt, dass die meisten Männer dies nicht gern tun.«
Die Nachtigall sang weiter ihr himmlisches Lied, während Adelia sich durch die irdischen, menschlichen Wahrheiten arbeitete. »Es gibt natürlich pflanzliche Mittel, Poleiminze, Asant et cetera«, sagte sie, »doch Mutter hielt nicht viel davon. Zu viele sind giftig und außerdem wirken sie nicht.«
Sie hielt einen Moment inne, hoffte auf eine Reaktion. Es kam keine. Ob Emma, die stumm neben ihr saß, ihr zuhörte oder dieser verflixten Nachtigall, war schwer zu sagen.
»Und dann gibt es Pessare«, sagte Adelia. Sie ging ausführlich auf deren Geschichte ein, erzählte von Frauen aus Outremer, die mit Krokodilkot und Zitronensaft getränkte Schwämme in die Vulva einführten, von einem Araberstamm, der dieselbe Methode verwendete, diesmal jedoch mit einer Mixtur aus Honig und Kamelmist, die mit Weinessig zu einer Paste verrührt wurde. Sie sprach von ähnlichen Mitteln, die bereits in alten Aufzeichnungen erwähnt wurden, ägyptischen Hieroglyphen, griechischen und lateinischen …
Emma wurde unruhig, und Adelia merkte, dass sie ihre Aufmerksamkeit verlor. Sie holte tief Luft. »Meine Mutter stellte eine Gemeinsamkeit bei allen Methoden fest, die erfolgreich waren, nämlich die, was sie
›acidus‹
nannte, ein durchgängiges Element des Sauren: Zitronensaft, Essig. Sie war sicher, dass die Spermien dadurch getötet werden.«
Bei dem Wort »getötet« erstarrte Emma. »Und was sagt Gott zu diesen Mordmethoden?«
»Nicht Mord«, sagte Adelia. »Vorbeugung. Nach Meinung des Klerus verurteilt Gott sie, aber Geistliche sind Männer, die den Tod zu vieler Frauen aufgrund zu vieler Schwangerschaften einfach übersehen.« Adelia dachte an das getötete Neugeborene und an sein Grab im Sumpfland. »Oder das Elend der Familien, die zu viele Mäuler zu stopfen haben.«
Emma stand auf. »Nun, ich finde es abstoßend. Schlimmer noch, es ist vulgär.« Sie ging fort.
»Und bei der Verwendung von Pessaren«, rief Adelia ihr nach, »empfiehlt Mutter, einen Seidenfaden daran zu befestigen, um sie hinterher herausziehen zu können.«
Sie hörte die Tür des Gasthauses zuschlagen und seufzte. »Tja, schließlich hast du danach gefragt«, sagte sie. »Glaube ich wenigstens.«
Sie blieb eine Weile sitzen und lauschte der Nachtigall.
»Du warst aber lange weg«, sagte Gyltha, als Adelia in das Zimmer trat, das die beiden Frauen sich mit Allie teilten.
»Ich hab mich mit Emma unterhalten. Gyltha, ich glaube, ich glaube, sie liebt Master Roetger, meint aber, sie kann ihn nicht heiraten.«
»Das hätt ich dir längst sagen können«, entgegnete Gyltha. »Zu hochnäsig, um ihn selbst zu pflegen, aber eifersüchtig wie ein Kleinkind, wenn andere es tun.«
»Ja, das wird es wohl sein. Die Ärmste.«
»Und sie denkt, dass du selbst ein Auge auf ihn geworfen hast.«
»Ach, Gyltha, das ist doch Unfug.« Für Adelia war der Deutsche ein Patient. Sie sah in ihm nur den Mann mit dem gebrochenen Arm, der gerissenen Achillessehne und die leidende Kreatur.
»Vielleicht, aber sie tut’s.«
Am nächsten Morgen machte Emma ihren Leuten das Leben zur Hölle – sie
Weitere Kostenlose Bücher