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Der König und die Totenleserin3

Der König und die Totenleserin3

Titel: Der König und die Totenleserin3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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links, überquerten den Marktplatz mit seinen verlassenen Ständen und folgten der Abteimauer bis zu den mit Flechten überwucherten Ruinen eines Torhauses, jetzt nur noch eine Lücke in der Umgrenzung. Einen Hang hinauf, vorbei an einer Ruine, die mal ein Zehntspeicher gewesen sein mochte …
    Und da war sie.
    »Maria, Muttergottes, bewahre uns!«, sagte Gyltha leise.
    Adelias erster Gedanke war, wie unbarmherzig die Sonne die verkohlte und verfallene Abtei beschien, die sich unter dem gleißenden Licht duckte, weil sie einst schön gewesen war.
    Noch immer war es möglich, die frühere Anmut eines Bogengewölbes zu erkennen, von dem jetzt nur noch die Hälfte stand; aus diesen rußgeschwärzten Steinstümpfen im Geiste ein langes, elegantes Kirchenschiff zu rekonstruieren, ein Querschiff, einen von Säulen getragenen Kreuzgang; die Kunstfertigkeit der meisterlichen Steinmetzarbeiten unter dem Ruß eines herabgestürzten und geborstenen Kapitells zu würdigen; die furchtbaren Brandmale auf der Erde, wie krankhafte Narben, durch den ausladenden Aufwärtsschwung eines grünen Hügels zu ersetzen, der einst den Hintergrund zu Pracht und Herrlichkeit gebildet hatte.
    Der Wiederaufbau würde Jahre dauern, vielleicht Jahrzehnte. Diejenigen, die diese großartige Kirche gehütet hatten, würden in ihren Ruinen leben und sterben, ohne die Vollendung dessen zu sehen, was an ihrer Stelle entstand. Ein solches Vorhaben auch nur anzugehen erforderte einen Mut, den Adelia sich ebenso wenig vorstellen konnte wie den dazugehörigen Glauben.
    »Es tut mir so leid«, sagte sie und staunte, wie unzulänglich dieser Satz war, fragte sich, wem er gelten sollte.
    Das Feuer hatte sich von der Kirche bergabwärts ausgebreitet und die oberen Hänge unberührt gelassen. Zwei Männer – einer im Schwarz der Benediktiner, der andere in der ungefärbten wollenen Kutte eines Laienbruders – mähten dort oben Gras. Ein einsames Maultier schaute ihnen dabei über einen Weidenzaun hinweg zu, und die drei zusammen bildeten eine hübsche pastorale Miniatur, die aus einer illuminierten Handschrift zu stammen schien, die trostlose Szenerie im Vordergrund aber nur umso schärfer hervortreten ließ.
    Der Mönch richtete sich auf, erblickte sie, warf seine Sense zu Boden und kam den Hügel herab rufend und wild gestikulierend auf sie zugerannt. »Geht!«, schrie er. »Wir brauchen euch nicht. Im Namen des Vaters, verschwindet.«
    Ein anderer Mönch kam von irgendwo rechts entschlossen auf sie zugeschritten. »James, Bruder James!«, rief er. »Nein. Nein, nein, nein. Wo sind denn unsere Manieren geblieben? Falls das die Gesandten des Königs sind, dann sind sie unsere Erretter.«
    Er erreichte sie zuerst und lächelte. An Mansur gewandt sagte er: »Ich danke dem König und dem Allmächtigen für Euer Kommen. Die ganze Welt weiß um die arabische Kunstfertigkeit in den Wissenschaften. Ich bin Abt Sigward.« Er senkte nacheinander vor den beiden Frauen den Kopf, als Adelia zunächst sich selbst vorstellte, dann anschließend Gyltha und Allie, die mit einer neuen Verneigung bedacht wurde. Dann nickte er Rhys zu. »Ladys, Gentlemen, der Segen Gottes sei mit euch!«
    Bruder James kam angetrabt und sank in der Asche auf die Knie. »Lasst sie nicht herein, Mylord!« Lange, nervöse Hände griffen nach dem Skapulier des Abtes. »Ich flehe Euch an, schickt sie fort!«
    »Warum sollte ich?«, fragte Abt Sigward. »Ich bin doch schon ganz gespannt, was unsere gute Hilda da in dem Korb hat.«
    Mit einer Hand auf Bruder James’ zitternder Schulter führte er die Ankommenden zu dem Gebäude, aus dem er gekommen war. Es war das einzige, das auf dem riesigen Gelände der Abtei noch stand – ein hübsch geformtes Viereck aus Quadersteinen, die durch die Sonne ein warmes Gelb angenommen hatten, mit einem kegelförmigen Schieferdach, das in einem kunstvollen Schornstein auslief.
    »Früher mal die Küche des Abtes«, sagte er und geleitete sie hinein, »heute unser Wohnhaus.«
    Drei Viertel der Bevölkerung Englands wären froh, so ein Wohnhaus zu haben, dachte Adelia. Sie selbst hätte es auch nicht ausgeschlagen. Der Bau war geräumig und kühl und zweckmäßig, wenngleich die acht Gewölberippen, die an einem Abzugsloch in der Mitte zusammenliefen, für ihren Geschmack ein wenig zu verschwenderisch mit steinernen Blättern und Früchten verziert waren.
    In einer Ecke, wo ein Eimer stand, führten Stufen nach unten zu dunkel glitzerndem Wasser, in einer anderen

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