Der König und die Totenleserin3
im Rücken der Königin durchtränkte. Schon bald tropfte Blut herab und bildete Lachen auf dem Boden, aber sie tanzte weiter …
»Halt, halt!«, rief Adelia und war froh, dass sie durch irgendetwas geweckt wurde.
Ein Geräusch.
Noch immer zittrig, entzündete Adelia eine Kerze, schlang ein Tuch um sich und vergewisserte sich, dass Allie tief und fest schlief. Dann trat sie hinaus auf den Flur.
Die Nacht war schwül, und ein vergittertes Fenster über der Treppe war offen gelassen worden, damit ein wenig Luft hereinkam.
Ihr Fuß stieß gegen etwas Weiches. Als sie nach unten schaute, sah sie Millie die Magd auf einer Matte zusammengerollt auf dem Boden, die großen Augen vor Entsetzen weit aufgerissen.
Auch Adelia hatte sich erschreckt, und ihr »Was machst du denn hier?« kam schneidender heraus, als sie beabsichtigt hatte. Doch dann fiel ihr ein, dass das arme Kind ohnehin nichts hören konnte, und ihr wurde zudem klar, dass sie den Schlaf des Mädchens gestört hatte.
»Hast du hier kein Bett?«, fragte sie überflüssigerweise. So niedrige Bedienstete wie Millie mussten sich einfach dort zum Schlafen hinlegen, wo sie konnten, meistens in der Küche, doch in einer Nacht wie dieser war es in der Küche des »Pilgrim Inn« gewiss noch unerträglich heiß von den Feuerstellen, über denen Godwyn geschwitzt hatte, und die Fenster blieben aus Angst vor Räubern geschlossen. Millie hatte sich das einzige kühle Plätzchen gesucht, das sie finden konnte – und selbst das war verboten, weil sie sich außer zum Putzen niemals in der Nähe der Gästezimmer blicken lassen durfte.
»Da müssen wir uns was Besseres einfallen lassen, nicht?« Adelia winkte dem Mädchen, mit in ihre Kammer zu kommen, wo ein zusätzliches Reisebett stand und es ein weiteres offenes Fenster gab. Sie legte beide Hände an eine Wange, um Schlaf zu signalisieren, doch Millie rührte sich nicht vom Fleck, ihr Blick noch ängstlicher als zuvor. Das war verboten.
»Himmelherrgott!«, sagte Adelia gereizt. Sie ging zu ihrem Bett, grapschte ein Kissen und eine überflüssige Decke, trug beides hinaus auf den Flur und breitete es auf dem Boden aus. Selbst jetzt musste das Mädchen noch ermuntert werden, bis es sich endlich darauflegte.
Noch immer drangen Geräusche aus dem Hof herauf, als würde ein Tier blindlings herumtappen, aber als Adelia die Treppe hinunterwollte, hielt Millie sie am Arm fest und schüttelte heftig den Kopf.
»Ich soll nicht da runter?«, fragte Adelia sie. Was ging hier nachts im »Pilgrim Inn« Furchtbares vor? Vor welchem Anblick wollte dieses arme Geschöpf sie bewahren?
Was auch immer es war, es wäre auf jeden Fall besser, als zu dem quälenden Traum zurückzukehren. Adelia brachte ein, wie sie hoffte, beruhigendes Nicken zustande und ging die Treppe hinunter. Schließlich würden Räuber ja wohl kaum so einen Radau schlagen.
Unten kauerte Godwyn mit gespitzten Ohren neben der Tür des Gasthofes. »Wer ist da draußen?«, fragte Adelia ihn.
»Ich weiß nicht, Mistress, und ich will es auch gar nicht wissen.«
Sie hörten ein Blöken, als etwas von außen gegen die Tür schlug.
»Ein Schaf?«, sagte Godwyn. »Wie kommt denn ein Schaf hierher?«
Auf einmal wusste sie es. »Macht die Tür auf!«, sagte sie. »Es ist Rhys.«
Godwyn war nicht überzeugt, daher musste sie die Riegel selbst zurückschieben. Prompt wurde sie nach hinten gestoßen, als die Tür nach innen schwang, weil der Barde mit seinem ganzen Gewicht dagegenfiel.
»Oh Gott, er ist verletzt.« Wegelagerer hatten ihn auf der gefährlichen Straße überfallen, hatten auf ihn eingedroschen, eingestochen, und es war ihre Schuld – sie hätte ihn nicht dorthin schicken sollen.
Godwyn schnupperte an dem sich windenden Bündel zu seinen Füßen. »Der ist nicht verletzt, Mistress, der ist besoffen.«
Und tatsächlich. Dass er es überhaupt geschafft hatte, nach Hause zu torkeln, blindlings und von Räubern unbemerkt, war der Beweis, dass Betrunkene einen besonderen Schutzengel hatten.
Godwyn wurde zurück ins Bett geschickt, und in der nächsten Stunde drehte der Barde, gestützt von Adelia, auf wackeligen Beinen zahllose Runden um den Ziehbrunnen im Hof; zweimal stieß sie ihn zu einem Strohhaufen, wo er sich übergeben konnte, und schöpfte aus dem Brunneneimer becherweise Wasser, das sie ihm jedes Mal einflößte, wenn er den Mund öffnete und singen wollte.
Schließlich, als sie beide am Ende ihrer Kräfte waren, führte sie ihn in die
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