Der König und die Totenleserin3
konnte und ein König seinen toten Arthur bekam.
»Wir sollten lieber die Finger davon lassen«, rief sie nach unten und hörte Mansur verärgert über ihren Wankelmut ausspucken.
Er kam wieder nach oben geklettert, aber als er die oberste Stufe erreichte, streckte er die offene Hand aus. Auf seiner Handfläche lag ein kleiner knubbeliger Knochen.
»Der muss alt sein, weil er ganz unten lag«, sagte er. »Ein Stück von einem Fuß, glaub ich. Nimm ihn!«
Es war tatsächlich das Endglied eines zweiten Zehs, und Adelia starrte eine Weile darauf und klopfte sich unschlüssig gegen die Zähne, ehe sie ihn schließlich rasch nahm. »Wir können ihn ja hinterher wieder zurücklegen«, sagte sie.
Schließlich würde das Wissen der Welt wirklich bereichert, wenn sie eine Methode zur Altersbestimmung von Knochen finden könnte. Trotzdem nahm sie ihr schlechtes Gewissen mit in die Hütte, und als Bruder James die beiden zwei Stunden später bei der Arbeit überraschte und auf die Unordnung, die sie angerichtet hatten, stierte, als hätten sie etwas Obszönes getan, plapperte Adelia mit gespielter Arglosigkeit los: »Wir haben Gebete gesprochen … Abt Sigward hat dem Doktor die Erlaubnis erteilt … Der König erwartet …«
Doch anscheinend durchlebte Bruder James auch Phasen der Ruhe, und das war eine von ihnen. Er blickte nur betrübt. »Möge Gott Euch Eure Taten vergeben!«, sagte er.
»Ich hoffe, das wird Er.«
Tatsächlich war der Knochen nutzlos gewesen. Adelia hatte einen Span davon abgeschabt und einen exakt ebenso großen Span von Arthurs Zeh – das Innere beider Späne hatte sich in nichts unterschieden.
Sie und Mansur hatten beide Späne zu Staub zermahlen und in die Schale der winzigen Waage gelegt, die sie mitgebracht hatte – wobei nur herauskam, dass sie gleich schwer waren. Sie hatten Teile der beiden Staubmengen in Wasser gegeben und dann Essig zugefügt, aber keinerlei Reaktion erhalten. Entweder waren die zwei Knochen gleich alt oder aber, und das war ihre Befürchtung, es gab keine Vergleichsmöglichkeit, um einen Unterschied festzustellen.
»Wisst Ihr«, sagte Bruder James, der noch bei ihnen verweilte und nach wie vor bekümmert war, »die Menschen brauchen König Arthur, sie brauchen ihren Traum von ihm.
Ich
brauche ihn.«
»Warum?«, fragte Adelia. »Warum braucht Ihr ihn?«
»Er hat sein Banner in den Kampf gegen die Barbarei geführt«, sagte Bruder James, »aber er muss zurückkehren, um den Krieg zu gewinnen. Es gibt noch immer Barbarei in der Welt. Niemand weiß das besser als ich.«
Er ging langsam davon.
»Keine schlechte Begründung«, sagte Mansur und sah ihm nach. »Alle sollten gegen das Böse kämpfen. Der Islam kämpft noch immer unter der Fahne des Propheten, Allah bewahre sie!«
»Aber nicht gut genug«, sagte Adelia. »Ein Traum ist als Begründung nicht genug. Ungeschönte Wahrheit, das ist die einzige Fahne, unter der es sich zu kämpfen lohnt.«
»Bruder James?«, sagte Hilda, als sie niedergeschlagen zurückgingen, um im Gasthaus zu Abend zu essen. »Der wird von Dämonen verfolgt, der Ärmste, aber meinem lieben Abt ist es gelungen, ihm die meisten auszutreiben.«
»Was für Dämonen?«
Hilda wusste es nicht. »Der ist schon zur Abtei gekommen, bevor der Abt und ich irgendwas damit zu tun hatten. Geschrien und gekreischt hat er, so wird erzählt.«
Gyltha war ergiebiger, nachdem Hilda aus dem Zimmer gegangen war. Sie und Allie hatten einen erfolgreichen Morgen damit zugebracht, sich von Godwyn durch die Sümpfe rudern zu lassen, und einen noch erfolgreicheren Nachmittag damit, sich mit Laienbruder Peter auf der Weide zu unterhalten, wo das Maultier Polycarp jetzt eine Packung Sphagnum-Moos auf der Kruppe trug.
Bruder Peters Frömmigkeit, so berichtete sie, hindere ihn nicht daran, unfreundlich über seine ranghöheren Brüder zu sprechen.
»Der mag sie nich besonders«, stellte Gyltha fest. »Meint, die behandeln ihn nicht anständig – alle außer dem Abt. Meint, der Abt achtet ihn.«
Wenn man Bruder Peter glauben durfte, war Bruder James vollkommen verrückt. »Er soll schutzsuchend in die Abtei gerannt sein, nachdem er im Streit seinem Vetter einen Arm abgehackt hat.«
»Großer Gott!«
»Das erzählt Peter zumindest. Und Bruder Aelwyn ist so ungenießbar wie ein Holzapfel, spitzzüngig, nie ist ihm was recht. Da war mal irgendwas in seiner Vergangenheit, aber was, weiß Peter nich. Und Bruder Titus ist ein fettes, faules Schwein.«
Oje.
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