Der König und die Totenleserin3
Bäcker ohrfeigte ihn erneut. »Willst du uns die verdammten Forstwächter auf den Hals hetzen?«
Adelia war beunruhigt. Sie erfuhr viel zu viel von diesen Männern, und es wurde immer unwahrscheinlicher, dass sie Mansur und sie mit ihrem Wissen laufen lassen würden. Sie hatten Eustace Wildfleisch gebracht, aber sie hatten bestimmt nicht die Erlaubnis gehabt, den Hirsch zu töten, aus dem es herausgeschnitten worden war. Für jagdversessene Könige und Adelige war das Wildern von Rotwild so ziemlich das verwerflichste Verbrechen auf Gottes weiter Erde, und die Forstwächter, die Hüter ihrer Jagdreviere, konnten Gericht halten und einen Wilderer dazu verurteilen, dass ihm die Gliedmaßen abgeschnitten und zwischen den Bäumen des Forstes aufgehängt wurden, in dem er gewildert hatte.
»… und da hat er noch alle Finger gehabt«, sprach Alf trotzig weiter. »In der Nacht vor dem Feuer war das. Was hat er denn bloß mit ihnen angestellt?«
»Mmm.«
Mansur sagte leise auf Arabisch zu Adelia: »Hast du gesehen, was da hinten in der Höhle ist?« Er hielt die Laterne so, dass das Licht tief ins Innere reichte, wo es nicht auf eine Felswand fiel, sondern auf eine leicht konvexe Mauer aus dicht zusammengefügten Steinen.
Adelia spürte, wie ihr leicht übel wurde, als sie sich an eine ähnliche Mauer in Cambridge erinnerte, hinter der eine Sünderin lebendig eingeschlossen worden war, weil die Kirche es für angebracht gehalten hatte, die Frau zur Strafe einzumauern.
Schrill rief sie: »Was ist hinter den Steinen da hinten … möchte Master Mansur gern wissen.«
»Da habt Ihr Euch nicht drum zu kümmern«, rief der Bäcker zurück. »Geht Euch nix an.«
Aber die Stimme von Alf, Gott segne ihn, sagte: »Eustace’ Dad hat die Mauer nach dem Erdbeben wieder neu gebaut, stimmt doch, Will, oder? Die hält den Dämon drin.«
»Dämon?«
»Dahinter steckt ein fieser Dämon. Ist schreiend auf Eustace’ Dad losgegangen, als die Mauer beim Erdbeben eingestürzt ist, und Eustace’ Dad musste ihn wieder einsperren. Danach war er nich mehr derselbe, Eustace’ Dad, mein ich.«
»Davor war er auch schon nich ganz dicht«, meldete die Stimme des Hodenkratzers düster.
Mansur und Adelia wechselten Blicke. Schon wieder das Erdbeben. An jenem Tag vor zwanzig Jahren hatte es rings um Glastonbury nicht nur seismische Aktivitäten gegeben, sondern noch sehr viele andere.
Der Bäcker schrie sie an, sie sollten endlich voranmachen, daher konnten sie im Augenblick nichts tun, um herauszufinden, was sich hinter der Mauer verbarg, aber Adelia nahm sich vor, wiederzukommen und der Sache auf den Grund zu gehen, sobald sich die Gelegenheit dazu ergab. Möglicherweise hatte es damit nichts auf sich. Aber vielleicht ja doch.
Jetzt aber hatte sie anderes zu tun. Auf ein Nicken von ihr hin nahm Mansur die Überreste von Eustace’ rechter Hand und trug sie nach draußen ins Freie, wo beide sie im Licht der Morgendämmerung, die einen weiteren heißen Tag verhieß, untersuchen konnten.
»Hmm.«
Das war eigenartig. Die ersten Glieder der mittleren Finger waren durchtrennt worden, sodass die oberen Glieder fehlten. Daumen und kleiner Finger waren unversehrt, wie zwei Bäume, die über die Stümpfe der anderen drei wachten, die gefällt worden waren.
War denn an jedem Leichnam in Glastonbury herumgehackt worden?
»Ein Schwertkampf?«, fragte Mansur.
»Mmm. Ich würde meinen, ein Schwert hätte, lang wie es ist, alle Finger abgetrennt. Es ist fast … Ich weiß nicht … Es ist fast, als hätte er die drei mittleren Finger hingehalten, damit sie abgeschlagen werden, und Daumen und kleinen Finger so weggebogen, dass die Klinge sie nicht trifft.«
Sie dachte nach. »Sprich du weiter!« Sie mussten unbedingt die Illusion aufrechterhalten, dass Mansur der führende Kopf war. Er beeindruckte diese Männer – sie nicht. Außerdem, sollten sie beide tatsächlich mit dem Leben davonkommen, wollte sie nicht, dass sich das Gerücht verbreitete, in Glastonbury treibe eine Hexe ihr Unwesen.
»Kannst du erkennen, was mit dem Mann passiert ist?«, fragte Mansur. »Denn wenn nicht … Sie haben uns schon zu viel verraten.«
»Ich weiß.« Sie wechselte ins Englische. »Der Doktor wünscht, Eustace’ Messer zu sehen.«
Die Männer überschlugen sich fast vor lauter Eifer, es ihm zu bringen. »Richtig schön scharf ist das«, sagte einer von ihnen. »Da hat unser Nichtsnutz immer dran rumgeschliffen.«
Sie reichten es Mansur, der es,
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