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Der König und die Totenleserin3

Der König und die Totenleserin3

Titel: Der König und die Totenleserin3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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sein, aber der Wald war es nicht. Unsichtbares Leben raschelte allüberall. Ein Ziegenmelker stieß seinen lang gezogenen schnurrenden Ruf aus; irgendwo schrie ein Tier. Ein Dachs trottete auf den Pfad vor ihnen und verschwand wieder.
    Irgendwann hoben sie Toki auf die untersten Äste eines Baumes, und er kletterte hinauf in den Wipfel. Die Übrigen blieben absolut reglos stehen, bis er nach einigen Minuten wieder herunterkam.
    »Klingt, als wär Richtung Pennard irgendwas los, Will. Ich hab Schreie gehört. Wie’s scheint, hat er sein Wort gehalten, und wir sind sicher.«
    »Ich will’s hoffen.« Will bekreuzigte sich. Er fürchtete sich noch immer.
    Adelia fürchtete sich mit ihm. Sie wusste kaum etwas über diese Männer, nur, dass sie sich nicht so schnell einschüchtern ließen. Sie wusste nicht, woher sie kamen. Sie vermutete, dass sie durch den Brand in Glastonbury ihre Arbeit verloren hatten und jetzt einfach irgendwie überlebten, häufig am Rande der Illegalität, während sie doch die meiste Zeit versuchten, ein normales gesetzestreues Leben zu führen – schließlich hatten sie alles darangesetzt, um zu beweisen, dass Eustace, und damit die Zehnschaft, sich nicht der Brandstiftung schuldig gemacht hatte.
    Aber hier im Wald waren sie in Wolfs Reich, und der war jemand, der sie in Angst und Schrecken versetzte, jemand, der mit der Gesellschaft gebrochen hatte und kein Gesetz kannte, ein Wolfskopf, ein Unhold – Emma, oh Emma –, der Reisende auf der Straße von und nach Wells überfiel, ihnen Hab und Gut und das Leben raubte.
    Die Zehnschaft kannte ihn gut genug, um ihn um diesen Gefallen zu bitten, kannte ihn gut genug, um Todesangst vor ihm zu haben.
    Launisch, dachte sie, sie meinen einen gestörten Geist.
    Es war schon ein Wunder, dass sie sich tatsächlich zu Wolf gewagt hatten und diesen Vorstoß in seine Höhle riskierten, um sich an ihren Teil der Abmachung zu halten, die sie mit Adelia getroffen hatten. Sie mochten ja Diebe sein, aber ihre Ehre war ihnen wichtig – eine Ehre, die größer war als die in einer christlichen Abtei.
    Mondlicht saugte die Farbe aus Fingerhut, Glockenblumen und Goldnesseln, die bei Tageslicht den Juniwald verschönert hätten. Die Zweige eines sterbenden Baumes warfen Schatten über den Pfad, die an die Striemen auf dem Rücken eines Mädchens erinnerten.
    Toki verharrte. Diesmal hörten sie alle ein Heulen in der Ferne. Echte Wölfe? Hunde? Wahnsinnige? Was auch immer, Will führte sie sicherheitshalber zu einem Bach, in dem sie ein Stück wateten, um keine Witterung zu hinterlassen. Das Wasser erfrischte Adelias müde Füße, aber sie empfand nichts von der Freude, die sie auf dem Tor empfunden hatte, als sie dem Suchtrupp ausgewichen waren. Das war keine tödliche Gefahr gewesen. Und außerdem war es ihnen ja darum gegangen, die Unschuld der Zehnschaft zu beweisen. Diesmal jedoch, das wusste sie, brachten sie sie irgendwohin, wo sie sich Tote anschauen sollte.
    Der kleine Pippy. Wie sollte sie es ertragen, seinen schmächtigen Leichnam zu sehen? Den Emmas?
    Ich kann keine Grässlichkeiten ans Licht bringen. In meinen Ohren gellen die Schreie der Toten.
    Aber sie war die, die sie war. Sie musste weitergehen und sich dem stellen, was sie erwartete.
    Sie kamen auf eine Lichtung. Alfs Stimme klang ihnen zittrig vor Anspannung entgegen. »Ihr habt euch aber verdammt viel Zeit gelassen.«
    Neben ihm war ein Haufen Erde, und er stand am Rand eines langen, flachen Grabes. »Er hat sie alle einfach so ins Loch geschmissen«, sagte er. »Ich hab sie ein bisschen ordentlicher hingelegt.«
    Will zündete eine Laterne an. Dann taten er und die anderen etwas, das Adelia rührte, aber auch ihre Trauer verstärkte: Sie nahmen ihre Kappen ab.
    Alle seit Wochen tot. Auf der Straße überfallen, nachdem sie am Tor von Wolvercote Manor abgewiesen worden waren. Es waren bewaffnete zweibeinige Bestien, die sie aus den Bäumen am Wegesrand angesprungen, sie zerfleischt, niederknüppelt hatten. Ein grauenhaftes Ende für diese teuren Leben.
    Will hielt Adelia die Laterne hin.
    »Ich kann nicht«, sagte sie. »Ich kann nicht.«
    »Wär aber besser«, erklärte er.
    Als sie ihm die Laterne abnahm, merkte sie, dass sie noch immer das Schwert des toten Kriegers in der Hand hielt. Sie wollte
     es nicht loslassen. Es gab ihr ein wenig Trost an diesem Ort des Todes.
    Mit der Laterne in der einen Hand, das Schwert in der anderen hinter sich herschleifend, schritt sie an einem Grab entlang,

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