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Der König von Berlin (German Edition)

Der König von Berlin (German Edition)

Titel: Der König von Berlin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
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genervt. Sie nervte ständig, die Göttin des Donners. Er grinste. Sie meckerte immer mehr. Eine Zeitlang hatte er gedacht, es sei endlich vorbei, dieses ständige Gemecker, sie hätte es begriffen, sich abgefunden, es eingesehen. Aber dann hatte sie doch wieder angefangen. Leider. Wahrscheinlich konnte sie gar nicht anders. Es war so unnötig und auch eine unglaubliche Zeitverschwendung, aber so was konnte man ihr nicht erklären, mit dem Logischen hatte sie es ja nicht so. Er liebte sie doch. Natürlich tat er das. Das musste sie doch langsam mal wissen. Sicher wusste sie das. Warum konnte sie dann nicht einfach mit dem Gemecker aufhören?
    Dieses Warten, bis der Computer endlich die neuen Aufträge berechnet hatte. Immer dieses Warten.
    In der Online-BZ gab es einen Artikel zu den Ratten. Wieder überlegte jemand, woher sie wohl kamen, so viele, so plötzlich, warum? Er schmunzelte. Zauberei war das nun wirklich keine. Die Hauptarbeit machten die Ratten selbst. Die durchschnittliche Tragezeit einer Ratte beträgt einundzwanzig Tage, dann wirft sie acht bis vierzehn Junge, die nach nur zwei Monaten geschlechtsreif sind. Die Rattenmutter kann nicht einmal dreißig Minuten nach der Geburt schon wieder schwanger werden. Ist sie hitzig, was alle vier bis fünf Tage für rund sechs Stunden der Fall ist, hat sie in dieser Zeit zweihundertmal Sex. Eine Schwangerschaft ist da praktisch selbstverständlich. Stellt man den Ratten ausreichend Futter und erträgliche Bedingungen zur Verfügung, kann man die Population innerhalb von rund drei Monaten ungefähr verfünfzigfachen. Über das Berliner Stadtgebiet verteilt gibt es wahrscheinlich gut zehn Millionen Ratten. Da musste man kein Mathematiker sein …
    Der Computer rechnete immer noch. Die nächste Schlacht im Online-Universum von World of Warcraft ging in einer Stunde los. Für die Herausforderungen, die dort warteten, brauchte es seine volle Aufmerksamkeit. Das verlangten die anderen Spieler von ihm, zu Recht, und auf ihn konnte man sich immer verlassen. Ratmaster Big war der zuverlässigste Spieler überhaupt und immer «on». Ihn konnte niemand linken. Viele hatten das schon versucht, weiß Gott, und alle, wirklich alle hatten es bereut. Bitter bereut. Er war ein gutmütiger, weiser und loyaler Waffenbruder, aber wer ihm blöde kam, wurde ausgelöscht. Ohne Gnade, da gab es keinen Verhandlungsspielraum. Das wussten alle. Einmal zu weich, und der über Jahre erarbeitete Respekt wäre dahin. Er wäre manchmal gerne nachgiebiger, aber es ging nicht, er durfte das nicht. Man muss auch den eigenen Schmerz, den die Vernichtung eines anderen erzeugen kann, aushalten.
    Nur noch fünfzig Minuten bis zum Raid, dem Feldzug, und vorher mussten noch die Aufträge raus. Die Berliner Kammerjägerfirmen erwarteten sie morgen früh. Vorher musste er sie aber noch nach Korea schicken, damit sie von dort über die ganze Welt durch Hunderte Accounts und IP-Adressen gejagt werden konnten, bis sie wirklich niemand mehr zu ihm zurückverfolgen konnte, dann gingen sie wieder nach Berlin, zu der vermeintlichen Senatsstelle, von der aus die zweiundsechzig Kammerjägerfirmen ihre «städtischen» Aufträge bekamen. Das lief alles längst vollautomatisch. Nur die Aufträge berechnen und auf den Weg nach Korea bringen musste er noch selbst. Wobei er auch hierfür schon vor langer Zeit entsprechende Programme geschrieben hatte. Wenn er an einem bestimmten Punkt in der Stadt eine bestimmte Menge Gift streuen ließ oder eine bestimmte Menge Futter zur Verfügung stellte, ergab sich daraus nach einer bestimmten Anzahl von Tagen eine relativ präzise zu berechnende Menge an toten Ratten oder eben an Rattenzuwachs. Für all dies hatte er längst Kurven und Diagramme. Alle Einzelheiten hatte ihm der alte Machallik zwar nicht verraten, aber er wusste genug, er hatte die völlige Macht. Er gab die Richtung vor und erteilte den Kammerjägerfirmen im Namen der Stadt die Aufträge, die nötig waren, um seine Vorstellungen umzusetzen. Das war die Ordnung der Dinge.
    Er schaute nach dem Wetter. Früher hatte er sich links oben auf dem Bildschirm ein kleines Fenster eingerichtet, um stets zu wissen, wie das Wetter ist. Jetzt ließ er auf einem der anderen Bildschirme manchmal eine Citycam aus der Innenstadt laufen, einfach so, um quasi auch mal draußen gewesen zu sein. Er schaltete zu einem halblegalen Sportstreamer, Baseball in Kuba, ein Fußballspiel in Brasilien.
    Endlich, der Computer war fertig.

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