Der König von Berlin (German Edition)
kam.
Wo er dann schon mal in der Küche war, hatte er gleich noch ein großes Stück von der Mettrauchwurst gegessen, die ihm seine Mutter geschickt hatte. Im Stehen, an der Arbeitsfläche, wie immer. Die kleine Resopalplatte der Einbauküche war so ziemlich der einzige Einrichtungsgegenstand, den er wirklich benutzte. Dort zu stehen und Mettrauchwurst aus Cloppenburg zu essen, das waren kurze, unbeschwerte Momente des Glücks. Bislang die einzigen, die er in Berlin empfand. Würde seine Mutter irgendwann aufhören, ihm alle vierzehn Tage Essenspakete zu schicken, dann müsste er in Berlin eine Quelle für Mettrauchwurst suchen. Oder einmal im Monat nach Cloppenburg fahren.
Zum Glück ging es ihr gut. Das hatte er gemerkt, als er den Anrufbeantworter abhörte. Vier Nachrichten von seiner Mutter, eine vom Vater, der aber nur sagte, er solle doch mal rangehen, wenn Mutter anrufe, sie mache sich Sorgen, er solle aber Mutter keinesfalls sagen, dass er, Vater, deshalb angerufen habe, er sei extra hinters Haus gegangen, damit Mutter nichts merke. Später hatte Mutter noch mal aufs Band gesprochen, er solle zurückrufen, es sei nur wegen Vater, weil, der mache sich Sorgen, er sage nichts, aber sie wisse natürlich, dass er sich Sorgen mache, aber er solle Vater auf gar keinen Fall sagen, dass sie ihm das gesagt habe.
Lanner lächelte, die beiden liebten ihn wirklich. Seine Mutter hielt sich trotz aller Sorge stets und streng an sein Verbot, ihn auf dem Handy anzurufen. Er könne ja im Einsatz sein und dann Ärger kriegen, hatte er ihr gesagt, und sie glaubte es tatsächlich oder hielt sich einfach so daran, ohne es zu glauben.
Der angenehme Geruch nach frischem Kaffee, den Lanner wahrnahm, als er sein Bürokabuff betrat, passte gut zu der leichten Unwirklichkeit, in die wohldosierter Restalkohol die Umwelt zu tauchen vermag. Es standen zwei dampfende Becher auf seinem Schreibtisch, doch bevor er sich richtig wundern konnte, klopfte es an der halboffenen Tür, und eine junge, sportlich-schlanke Frau streckte ihm eine sehr hübsche Hand zur Begrüßung entgegen.
«Ah, Herr Hauptkommissar Lanner, da sind Sie ja, freut mich, Carola Markowitz von der Wirtschaft. Ich hab uns Kaffee mitgebracht. Ist hoffentlich okay. Nehmen Sie Milch, Zucker oder beides? Ich hätte auch Tee mitbringen können, aber Herr Kolbe meinte, Sie seien Kaffeetrinker.»
Sie war eine agile Person mit kurzen, glatten blonden Haaren, und noch im Reden war sie an ihm vorbeigeschwebt, hatte sich auf einen Klappstuhl, den sie unter dem Arm getragen hatte, gesetzt und fischte nun Zucker- und Milchportiönchen aus ihrer Sakkotasche. Sie sah seltsam aus in dem viel zu großen Sakko, mit den abgewetzten Jeans und dem bordeauxfarbenen Rollkragenpullover. Diese Garderobe kannte Lanner eher von fünfzigjährigen Studienräten.
«Ich hab mir einen Stuhl aus dem Flur geholt, ist hoffentlich okay.» Die Frau strahlte ihn an.
Lanner schloss die Tür, ließ sich in seinen Bürosessel sinken und genoss das Aroma des wirklich köstlich duftenden Kaffees. «Wo haben Sie den Kaffee her?»
Carola Markowitz lächelte zufrieden, offensichtlich hatte sie auf so eine Reaktion gehofft. «Ach, kein Ding, wir haben einen Vollautomaten in unserem Büro.»
Sie wusste, dass dieser Satz dem Hauptkommissar einen kleinen Stich versetzen würde. Sein Blick verriet ihr, was er in etwa dachte, irgendwas in der Art von ‹Na, der Wirtschaftskriminalität scheint es ja nicht schlecht zu gehen›. Doch Lanner hielt sich zurück und legte die gesamte Schärfe seines Neides in die Frage: «Und warum genau unterhalten Sie sich mit Herrn Kolbe darüber, ob ich Tee- oder Kaffeetrinker bin?»
«Ach, das war so nebenbei. Eigentlich wollte Herr Kolbe mir gestern nur von Ihrem Fall erzählen. Der mit dem Toten im Garten, er dachte, das könne mich interessieren. Und ich muss sagen, da hat er ins Schwarze getroffen. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen, ich hab letzte Nacht keine Sekunde geschlafen, so aufgeregt war ich, bis zum Morgen hab ich mich durch das Material und die Dateien gefressen. Einen tollen Fall haben wir da.» Sie lachte.
Carsten Lanner wurde mit einem Schlag wach. «Einen kleinen Moment bitte, damit ich das auch wirklich richtig verstehe. Wollen Sie mir sagen, der Spurensicherer Kolbe unterrichtet eigenmächtig eine Kommissarin der Abteilung für Wirtschaftskriminalität von meinem Fall? Er gibt ihr ohne mein Wissen jede Menge, wahrscheinlich sogar das gesamte
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