Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König von Berlin (German Edition)

Der König von Berlin (German Edition)

Titel: Der König von Berlin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
Vom Netzwerk:
getobt, wie er Herrn Kasten beschimpft und verflucht hat.»
    «Ja», Frau Matthes lachte, «Ihr Vater hat das außerordentlich genossen. Er hatte Herrn Kasten erst ein Jahr vorher eingestellt, eben für diesen außergewöhnlich verantwortungsvollen Posten. Nachdem er bemerkt hatte, dass sich diese Buchhaltungskatastrophe nicht mehr vermeiden ließ. Also hat er sie noch eine Zeitlang verschleiert und mit viel Tamtam und Vorschusslorbeeren Herrn Kasten eingestellt. Dann hat er gewartet, bis Kasten alles um die Ohren flog, und ihn öffentlichkeitswirksam wieder rausgeworfen. Der große Erwin Machallik aber ging unbeschädigt aus der Sache hervor. Die ganze Schuld und Verantwortung hat er erfolgreich auf Herrn Kasten abwälzen können, wodurch er selbst ohne Kratzer blieb.» Die alte Frau strahlte, es gefiel ihr, diese Geschichte endlich mal erzählen zu können. Beziehungsweise, sie mal jemand anderem als nur ihrer Freundin Elvira Adler erzählen zu können.
    Max jedoch wiegelte ab. «Na ja, so ganz ohne Kratzer … Er musste immerhin einen Haufen Strafen und Gebühren bezahlen. Das hätte die Firma fast in den Ruin getrieben.»
    Frau Matthes freute sich über diesen Einwand. «Er hat sogar dem Herrn Kasten noch eine gehörige Abfindung gezahlt, damit der nicht öffentlich lamentiert. Wissen Sie, Geld war Ihrem Vater immer völlig egal, und der Ruin hat dieser Firma nie gedroht. Das hat er höchstens mal so dahingesagt, wie man das eben manchmal macht. Ihrem Vater war immer nur wichtig, dass sein Ruf keinen Schaden nimmt. Der große Machallik musste der große Machallik bleiben. Von Geschäftsfreunden gefürchtet, aber als absolut vertrauenswürdig geachtet. Deshalb durfte es nie jemand wissen, wenn er den Karren in den Dreck gefahren hatte. Ähnlich wie mit Herrn Kasten war es mit Herrn Dacher, den er als ‹Executive Territorial Chief› eingesetzt hatte. Für die Niederlassungen in Leipzig, Dresden und Erfurt, die er nach der Wende gegründet hatte, um sein Kammerjägerimperium auf den Osten auszudehnen. Als Ihr Vater merkte, dass diese Expansion in jeder Hinsicht ein Fiasko wird, hat er rechtzeitig Dacher engagiert, damit er, als die ganzen Dependancen schließen mussten, die komplette Schuld auf seinen Territoriumschef schieben konnte.»
    Langsam bekam Max Machallik einen Eindruck, wie es sein Vater geschafft hatte, über Jahrzehnte ein erfolgreicher Geschäftsmann zu bleiben. Probleme, Misserfolge, Risiken – er hatte einfach immer alles delegiert. Und selbst wenn es einer seiner ‹Spezialisten› doch mal geschafft hätte, die Dinge irgendwie in den Griff zu kriegen, wäre immer noch der große Machallik derjenige gewesen, der im richtigen Moment den richtigen Mann an die richtige Stelle gesetzt hat. Ein beeindruckender Trick. Max Machallik setzte sich auf die Lehne der Ledercouch und betrachtete versonnen das riesige, in Öl gemalte Skelett einer Ratte, das an der Wand hing. Genau so hatte er oft seinen Vater sitzen, das Bild betrachten und nachdenken sehen. «Frau Matthes, ich glaube, wir sind soeben auf das Erfolgsgeheimnis meines Vaters gestoßen.»
    Claire Matthes nickte ihm sanft zu. Sie gönnte dem Jungen dieses kleine Triumphgefühl von Herzen. Auch deshalb dachte sie nicht im Traum daran, dem glücklichen Max zu verraten, dass er bislang nur einen Bruchteil des eigentlichen Geschäfts- und Erfolgsmodells seines Vaters begriffen hatte. Sie fasste lieber die Erkenntnisse des Juniorchefs geschickt zusammen: «Bedeutet dies, wir werden jetzt einen Chefrattenjäger ernennen? Einen Leiter der Operation? Einen absoluten Experten und Krisenmanager?»
    Max schaute sie fragend an, dann sank er wieder in sich zusammen. «So jemanden zu finden dauert Wochen. Die Zeit haben wir nicht.»
    «Ihr Vater hätte da nicht lange gesucht, der hätte sich einfach einen gebacken. Von möglichst weit her, am besten einen vorzeigbaren Kammerjäger mit Macherqualitäten. Aber natürlich auch wieder nicht zu klug, damit der nicht am Ende alles durchschaut und aushebelt. Diesen Mann hätte er dann zum weltweit anerkannten Spezialisten erklärt. Wenn man so einen nur mit genügend Bohei vorstellt, wird das niemand wirklich nachprüfen. Wer kennt sich schon im Kammerjägergeschäft aus? Und falls sich doch jemand genauer informieren will, wo kann er das? Die renommiertesten Fachleute in diesem Geschäft sind wir. Wenn Sie sagen, das ist ein führender Experte, dann ist er das auch.»
    Max schaute immer noch auf das Rattenskelett.

Weitere Kostenlose Bücher