Der König von Berlin (German Edition)
Er hatte in Frau Matthes bislang nur die tüdelige, ewige Sekretärin des Vaters gesehen. Im Prinzip war sie das ja auch, aber sie hatte mehr Zeit mit seinem Vater verbracht, kannte seine Tricks und das Geschäft besser als irgendjemand sonst. Ihr Vorschlag war verlockend, doch Max schüttelte den Kopf. «Tut mir leid, ich kann das nicht tun. Berlin leidet wirklich unter einer Rattenplage. Da kann ich nicht einfach jemanden einsetzen, der von der Stadt keine Ahnung hat. Das würde mir Berlin niemals verzeihen.» Er machte eine Pause. «Es sei denn …» Entschlossen sprang er auf, um allerdings sofort wieder wie angewurzelt stehen zu bleiben.
Augenblicke lang passierte gar nichts, bis Claire Matthes die Lähmung löste, indem sie ihrem Chef den Schnittchenteller hinhielt. Als der sie fragend ansah, erklärte sie: «Frischkäse mit Erdbeer- und Radieschenscheiben.»
Max Machallik legte den Kopf schräg und schenkte ihr einen Blick, als wären mit dieser Information über den Schnittchenbelag nun wirklich alle Fragen restlos geklärt. «Frau Matthes, wer ist unser bester Kammerjäger?»
«Das ist schon seit geraumer Zeit der Herr Karhan.»
«Toni Karhan. Natürlich. Hervorragender Mann. Zudem hat er diese Aura des Geheimnisvollen, der osteuropäischen Weisheit, gespeist von altüberliefertem Wissen, das man in keinem Buch findet. Ich würde mal sagen: Wenn irgendwer diese Rattenplage in den Griff bekommen kann, dann er. Wir sollten ihn mit sofortiger Wirkung zum Chef der ‹Taskforce zur Rattenbekämpfung› machen. Das heißt, Karhan wird Berlins oberster Rattenjäger.» Max Machalliks Wangen glühten, so sehr erhitzte ihn die Freude über seinen frisch gekürten Experten.
Claire Matthes zog Block und Stift aus der Rocktasche.
«Sehr schön, Frau Matthes, bitte notieren Sie: Wir müssen den Bürgermeister informieren und die Presse. Am besten kündigen wir für morgen früh eine Pressekonferenz an, um Toni Karhan zu präsentieren.»
«Um ganz sicherzugehen, dass Herr Karhan den Posten annimmt, empfiehlt es sich vielleicht auch, sein Gehalt deutlich zu erhöhen.»
Max Machallik klatschte in die Hände. «Aber selbstverständlich, wir werden es vervierfachen. Zudem statten wir ihn mit allen Befugnissen aus. Er kann vollkommen eigenständig entscheiden und ist nicht weisungsgebunden. Er bekommt alle Macht, aber auch die gesamte Verantwortung. Der Kampf gegen die Rattenplage in Berlin hat ab morgen einen Namen und ein Gesicht: Toni Karhan.»
Max fühlte sich großartig. Helmut würde sofort einverstanden sein, das wusste er genau. Wahrscheinlich würde sein Bruder gleich noch weiterdenken, etwa in die Richtung: ‹Wenn der Toni es tatsächlich schaffen sollte gegen die Ratten, dann schmeißen wir ihn kurz vor dem endgültigen Triumph raus und übernehmen selbst.› Und dann würde er schuldbewusst lachen, weil, so hätte er das ja gar nicht gemeint. Ihr Vater hätte es garantiert so gemacht, aber sie würden solche Spielchen nicht spielen. Das wäre der neue Stil, ihr Stil.
Sollte Toni Erfolg haben, könnte man ihm womöglich sogar das gesamte operative Geschäft übertragen. Max würde dann Präsident des Handballvereines werden können oder noch mal zur Universität gehen oder einfach nur zum Angeln. Er hatte zwar noch nie geangelt, aber ein Sport, bei dem man sitzen, schweigen und dösen kann, würde ihm liegen. Das wäre dann im Grunde wie sein Arbeitsleben, nur eben ohne diese verdammte Verantwortung. Von nun an würde alles besser. Bald bestünde seine Arbeit nur noch aus dem Einstellen und Feuern von Experten. Das war modernes Management.
Während Frau Matthes begann, die alles in die Wege leitenden Telefonate zu führen, griff Max nach Mantel, Hut und Tasche und verabschiedete sich. Er hatte die Lösung gefunden. Endlich! Wenn alles gutging, konnte er schon morgen um diese Zeit frei sein. Aber jetzt würde er erst mal im KaDeWe ein Geschenk für die kranke Tochter von Frau Jäger besorgen. Und natürlich Kuchen. Dann würde er einen Krankenbesuch machen, wie ein mitfühlender Chef das eben macht. Er war ein guter, menschlicher Chef. Einer, der sich für seine Leute interessiert. Auch wenn er von Zeit zu Zeit mal jemanden mit Verantwortung feuern musste. Frau Jäger würde er bestimmt nicht feuern, nur weil ihr Kind öfter krank war. Und es war ihm völlig egal, was sein Bruder oder sonst wer sagen würde, wenn rauskäme, was für ein mitfühlender Chef er ab jetzt sein wollte. Und für wen. Er hatte
Weitere Kostenlose Bücher