Der König von Berlin (German Edition)
diesen Rat mit einem warmen, mitleidigen Blick und wandten sich dann demonstrativ an Georg: «Können Sie uns bitte helfen?»
«Unter einer Bedingung.» Georg lächelte. «Zufällig treffe auch ich heute Abend jemanden, eine Frau, die ich gern beeindrucken würde. Sie ist zwar nicht so jung wie Sie, aber es würde ihr, glaube ich, sehr gefallen, wenn ich frisch und meinetwegen auch cool gekleidet wäre. Wenn ihr mir helft, das hinzukriegen, ohne dass ich albern aussehe, helfe ich euch auch bei eurem Problem.»
Die beiden Mädchen strahlten. «Deal!», rief die Blonde, während die Dunkelhaarige höflich zu Lanner schaute: «Wie lange wird Ihr Gespräch noch dauern?»
«Ach, wir sind hier fertig!», sagte Georg, noch bevor Lanner reagieren konnte, und sprang auf. Er zog seine Jacke über und brüllte: «Die Rechnung ist schon erledigt! Wenn was ist, du hast ja meine Nummer. Sonst melde ich mich morgen. Macht richtig Spaß, mit dir zusammenzuarbeiten. Tschüs!» Dann wandte er sich zu den jungen Frauen: «Als Erstes müssen wir den Laden wechseln …», und schon waren die drei zwischen den Kleiderständern verschwunden.
Lanner ließ sich nicht anmerken, wie sitzengelassen er sich fühlte. Möglichst würdevoll trank er seinen mittlerweile kalten Kaffee aus, während Lady Gagas «Bad Romance» auf ihn eintrommelte. Wenn man nur auf die Musik achtete, war das hier gar kein so schlechter Ort. Beinah ein wenig spiritualisiert, legte er der Frau am Tresen noch ein Trinkgeld hin und ging zurück zu seinem Auto. Oder besser gesagt zu dem Platz, wo sein Auto einmal gestanden hatte. Es war weg. Offenbar hatte er es geschafft, dermaßen idiotisch zu parken, dass sich irgendein Kollege genötigt sah, den Streifenwagen abschleppen zu lassen.
Lanner war nicht einmal ärgerlich oder genervt, weil er jetzt mit der U-Bahn fahren musste. Er dachte nur: ‹Hoffentlich erfährt Kolbe nichts davon.›
A ls Lanner seinen Streifenwagen im Hof des Präsidiums stehen sah, war ihm klar, dass nun eine weitere, höchst unerfreuliche Geschichte seinen Ruhm als dummes Huhn vom Lande mehren würde. Ein Scherzbold hatte ein Kärtchen mit Schleife – «Für Herrn Hauptparkmeister Lanner» – unter den Scheibenwischer geklemmt.
Die Stimmung im Präsidium war noch seltsamer als sonst. Lanner hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, dass die Kollegen ihm zur Begrüßung häufig nur zunickten und sich dann tuschelnd wegdrehten. Und heute hatte Kolbe garantiert jedem, wirklich jedem Beamten die Geschichte mit der Kieferorthopädie-App erzählt.
Doch die abgewandten Gesichter der Kollegen schienen noch einen anderen, über den Spott hinausgehenden Grund zu haben. Tiefe Betroffenheit, beinah etwas wie Mitgefühl lag in den Blicken. Lanner fühlte sich wie ein Patient, der auf dem Weg zum Arzt war, und alle, denen er dabei begegnete, wussten bereits von der niederschmetternden Diagnose, die ihn erwartete.
Er hatte sein Büro fast erreicht, als ein vornehm gekleideter, hochgewachsener Mann um die Ecke kam und federnd durch den Gang schritt. Als würde er nebenbei noch ein Meer im Flur teilen, bewegte er sich genau auf Lanner zu. Erst als er vor ihm stand, bemerkte Lanner: Dieser Mann war nicht größer als er selbst und genauso vollschlank, nur sein Schritt ließ ihn so hochgewachsen wirken, seine Haltung.
«Na, wenn das nicht der hochgelobte neue Hauptkommissar Lanner ist. Schön, dass ich Sie noch erwische, da hab ich die Möglichkeit, mich bei Ihnen persönlich für diesen famosen Auftrag zu bedanken.»
Mit einem eleganten Griff streifte er sich einen Handschuh ab und streckte Lanner seine gepflegte, offenkundig manikürte Rechte entgegen. Lanner nahm den wie eine Gnade dargebotenen Handschlag an und setzte gleichzeitig ein Was-kann-ich-für-Sie-tun-und-warum-überhaupt-Gesicht auf.
«Gestatten, Dr. Kersting. Herr Dr. Jortz hat mich gebeten, ihn anwaltlich zu vertreten. Ich war gerade hier in der Nähe, da konnte ich schnell bei Ihrem Vorgesetzten vorbeischauen und die Sache bereinigen. So mag ich meine Arbeit, zügig, unkompliziert, eindeutig und wirklich gut bezahlt. Ach, ich wünschte, es gäbe mehr Polizisten wie Sie. Dann könnte man sich ganz auf Unterlassungsklagen spezialisieren.»
Jetzt begriff Lanner, warum ihn alle so mitleidig angesehen hatten. Bestimmt hatte dieser Anwalt wegen seines Besuchs im Verlag ein Riesenfass aufgemacht. Vermutlich würde er einigen Ärger kriegen, und es war nur noch eine Frage von Augenblicken, dass
Weitere Kostenlose Bücher