Der König von Berlin (German Edition)
seien auf Toilette gewesen. Da kann ich ja nicht suchen.»
«Und wenn ich warte, wird der Chef dann nicht noch viel saurer?»
«Ach, später hat er die Wut wieder vergessen. Warten wird ihm immer schnell langweilig. Und dann schaut er sich irgendwas im Netz an oder liest Zeitung oder telefoniert, und bis der Grund des Ärgers endlich sein Büro erreicht, ist er schon wieder dermaßen abgelenkt und mit seinen Gedanken woanders, dass man beinah normal mit ihm reden kann. Man sollte ihn dann nur nicht durch unbedachte Worte noch mal daran erinnern, wie wütend er gewesen ist.»
Lanner war beeindruckt. «Also, Sie kennen sich ja hier wirklich gut aus.»
«Das ist eben so, wenn man neben dem Kaffeevollautomaten sitzt, das sagte ich ja schon.»
«Stimmt, hab ich vergessen.»
Lanner warf ihr einen freundlichen Blick zu, doch Carola Markowitz wirkte verhalten.
«Warum haben Sie das getan?»
«Warum habe ich was getan?»
«Das wissen Sie ganz genau. Warum sind Sie mit meinen Ermittlungsergebnissen einfach in den Kellermann Verlag gestürmt? Wie eine wilde Sau. Warum haben Sie mich außen vor gelassen? Sie haben gar nicht daran gedacht, mich in Ihr Team zu holen, stimmt’s?»
Enttäuschung, Wut und eine feine Prise Verachtung funkelten in Markowitz’ Augen. Lanner überlegte, ob er mit dem Wutausbruch von Kriminaldirektor Kunkeler nicht doch besser fahren würde. Da hätte er wenigstens nicht dieses lästige schlechte Gewissen. Er musste lächeln. Die Möglichkeit, sich von zwei Anschissen einen aussuchen zu können, war auch irgendwie eine Form von Luxus, von Freiheit. Wer kann schon selbstbestimmt wählen, welche Art des Beschimpftwerdens gerade besser zur eigenen Lebenssituation und Stimmung passt? In Wahrheit aber hatte Markowitz diese Entscheidung bereits für ihn getroffen. Sie hatte ihn vor Kunkeler gerettet, um ihn selbst zur Schnecke zu machen. Das lag auf der Hand.
Lanner setzte zu seiner Verteidigung an: «Das mit dem Besuch bei Jortz war so eine Bauchentscheidung. Sie werden das auch noch lernen, manchmal gibt es Situationen in diesem Beruf, da muss man einfach auf seinen Bauch hören.»
Markowitz verdrehte die Augen. «Na klar! Der Bauch, der alte Laberkopp. Was der einem alles so einredet. Werd ich mal versuchen, auf den Bauch zu hören. Aber sagen Sie, gesetzt den Fall, Sie würden doch noch mein Chef: Müsste ich dann auch noch lernen, auf den Arsch zu hören?»
Ihr Blick wechselte vom Spöttischen ins Vernichtende. Lanner begriff, er musste die Strategie wechseln. Er überlegte, ob er ihr nicht einfach die Wahrheit sagen sollte, fand das aber dann doch zu respektlos. Einfach die Wahrheit zu sagen hatte immer so etwas Liebloses. Wenn man nicht einmal versuchte, die Wahrheit ein bisschen herzurichten, ein wenig zu schmücken, bedeutete dies doch auch, dass man nicht einmal bereit war, sich auch nur das kleinste bisschen Mühe für das Gegenüber zu machen. Häufig war, wer die Wahrheit sprach, einfach nur zu faul oder zu phantasielos zum Lügen. Solch ein anstandsloses Verhalten kam für Lanner nicht in Frage. Dafür schätzte er Markowitz längst zu sehr. Also log er aus Höflichkeit: «Ich wollte Sie da nicht mit reinziehen. Mir war völlig klar, dass es Ärger gibt, wenn ich bei Jortz reinstürme und ihn unter Druck setze. Deshalb hielt ich es für besser, das Ganze wie einen Alleingang aussehen zu lassen.»
«Aussehen lassen? Das war ein Alleingang, nichts anderes, und wenn er irgendwie aussah, dann nur ziemlich mies und idiotisch. Aber das Schlimmste ist: Sie haben dadurch diesen Kersting in die Sache reingezogen. Und dafür wird Sie der Chef und jeder andere, der mit diesem Fall zu tun hat, verfluchen. Und zwar zu Recht!»
Während des ganzen Gesprächs hatte sie an der Tür gelehnt, jetzt setzte sie sich auf die Fensterbank. Die tapfere Septembersonne leuchtete in ihrem blonden Haar. Wenn sie mir nicht gerade so enorm auf die Nerven gehen würde, wäre sie richtig hübsch, dachte Lanner. In jedem Fall brachte sie frischen Wind in sein Büro. Allein ihre Anwesenheit tat ihm auf eine seltsame, überraschende Weise gut.
«Dieser Dr. Kersting scheint ja ein echter Sympathieträger zu sein.»
«Kennen Sie ihn?»
«Er hat sich mir vor wenigen Minuten vorgestellt, und wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich meinen, er wollte mir drohen.»
«Sie wissen es ganz sicher nicht besser. Da ist größte Vorsicht geboten. Lassen Sie sich nicht von seinem arroganten, großkotzigen Auftreten
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