Der König von Berlin (German Edition)
täuschen. Er will damit nur von seiner Boshaftigkeit ablenken.» Markowitz drehte hastig den Kopf und blickte aus dem Fenster. Ganz so, als wolle sie nicht, dass Lanner ihr Gesicht sah.
«Aber er scheint über exzellente Beziehungen zu verfügen, der Herr Anwalt.»
Markowitz ließ ihre Stirn sanft gegen die Scheibe sinken. «Über die besten der Stadt. Genau das macht ihn so unbesiegbar, so gefährlich. Überall hat er mächtige Freunde oder Klienten oder Leute, die ihm noch einen Gefallen schulden. Oder einfach Menschen, die nur keinen Ärger mit ihm haben wollen.»
«Ist dieser Dr. Kersting wirklich für die Frühpensionierung meines Vorgängers verantwortlich?»
«Von Walter?» Carola Markowitz schien kurz in Gedanken, kehrte aber schnell zurück. «Oje, warum Hauptkommissar Rimschow den Dienst quittiert hat, weiß niemand so genau. Sicher gab es einen Haufen guter Gründe, und bestimmt hat Dr. Kersting auch eine Rolle dabei gespielt, aber die Entscheidung hat Rimschow letztlich selbst getroffen. Ich glaube, er war einfach müde.»
«Vom Beruf?»
«Von diesem ewigen, nicht enden wollenden, aussichtslosen Kampf. Dem ständigen Gezerre und Geplärre und natürlich den immer neuen, nie heilenden Kratzern in der Seele.»
Lanner war beinah erschrocken, derart melodramatische Worte aus dem Munde einer so jungen und hübschen Frau zu hören. «Nie heilende Kratzer in der Seele, war das Rimschows Ausdrucksweise? Ist der so poetisch drauf?»
«Nein, das ist von Manfred, also Herrn Kolbe, der sagt das immer. Er und Walter Rimschow waren gut befreundet. Walter war ein Einzelgänger; wenn überhaupt, hat er sich nur Herrn Kolbe anvertraut.»
«Womit anvertraut?»
«Mit allem. All diesen schlimmen Erlebnissen. Aber der letzte Anstoß für Rimschows Rückzug war wohl der Fall Ziegler.» Sie stockte. Lanner versuchte ein aufforderndes Gesicht, um zu signalisieren, dass er die Geschichte gern hören würde. Markowitz dachte gut sichtbar nach, dann ließ sie die Schultern fallen, ganz so, als würde sie aufgeben, und begann vorsichtig zu erzählen. «Ein Mädchen war entführt worden, die dreizehnjährige Effi Ziegler, Tochter eines wohlhabenden Professorenpaares …»
Es machte gleich klick bei Lanner. Der Fall Effi Ziegler hatte seinerzeit bundesweit für Aufsehen gesorgt. Es war ein vergleichsweise geringes Lösegeld gefordert worden, zweihunderttausend Euro, genau zugeschnitten auf die finanziellen Möglichkeiten der Zieglers. In Lanners Hirn lief parallel zu Markowitz’ Zusammenfassung ein Erinnerungsfilm ab.
«Rimschow war damals der leitende Kommissar. Er war schnell überzeugt, dass der Täter kein Profi, sondern ein Einzeltäter aus dem weiteren Umfeld der Familie sein musste. Eine Annahme, die sich später als richtig herausstellte. Die Eltern waren bereit zu zahlen, sie wollten nur ihre Tochter zurück. Der Plan war, dass der Vater die Lösegeldübergabe nach den Bedingungen des Entführers durchführte und die Polizei sich dabei an dessen Fersen heftete, um so das Versteck des Mädchens ausfindig zu machen. Am Tag der Übergabe fuhr der Vater los, die zweihunderttausend Euro in einer dunklen Reisetasche, und wurde vom Entführer per SMS fast drei Stunden lang kreuz und quer durch Berlin geschickt. Sechsundzwanzig Prepaid-Handys hatte sich der Täter für diese Aktion besorgt. Schließlich beorderte er den Vater nach Potsdam und lotste ihn in einen Regionalexpress Richtung Magdeburg. Einige Zeit später, als der Zug auf freier Strecke war, rief er den Vater das erste Mal direkt an und befahl ihm, die Tasche aus dem Fenster zu werfen.»
Lanner nickte, das alles hatte damals haarklein in den Zeitungen gestanden, denn das Ende dieser Übergabeaktion war einigermaßen spektakulär gewesen.
«Nachdem der Entführer die Tasche gefunden und in sein Auto geworfen hatte, um sich, so schnell es ging, aus dem Staub zu machen, kam ihm auf der Landstraße ein achtzehnjähriger Führerscheinneuling mit unfassbar hoher Geschwindigkeit entgegen. Der verlor die Kontrolle über den Wagen, die Fahrzeuge touchierten einander, gerieten ins Schleudern und schossen rechts und links in den Acker. Zu ihrem Glück standen am Rand dieser brandenburgischen Landstraße grad mal keine Bäume. Natürlich waren die Kollegen gleich vor Ort. Der Entführer war leicht verletzt und bewusstlos, wodurch der Plan, sich von ihm zum Versteck führen zu lassen, hinfällig war. Er wurde festgenommen. Es war …»
Jetzt fiel Lanner Markowitz
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