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Der König von Berlin (German Edition)

Der König von Berlin (German Edition)

Titel: Der König von Berlin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Evers
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«Hätte ich nicht gedacht, dass Sie kommen würden.»
    «Ich hab ein paar Fragen und dachte, Sie könnten mir vielleicht bei einigen Fällen weiterhelfen.»
    «Kann ich mir denken, dass Sie einige Fragen haben. Ich hatte auch immer Fragen.»
    «Sicher, aber Sie haben bestimmt Informationen, die für mich wichtig sein könnten. Ich ermittle im Fall Machallik.»
    «Es gibt keinen Fall Machallik. Die Ermittlungen sind abgeschlossen.»
    «Der Meinung bin ich nicht, und ich glaube auch nicht, dass Sie es wirklich sind. Darf ich Ihnen also ein paar Fragen stellen?»
    «Wenn es Sie nicht stört, dass ich dabei weiter auf den See schaue. Tun Sie, was Sie nicht lassen können.»
    Rimschow zog das Körbchen mit den Steinen näher an sich ran und bot damit Lanner praktisch einen Platz an. Der setzte sich neben ihn. Dann starrten beide eine Weile auf den See hinaus. Als Norddeutscher war Lanner routiniert im langen Sitzen und Schweigen, doch in der Tiefe Brandenburgs verstand man sich offenkundig auch vorzüglich darauf.
    Nach dem unerwartet moderaten Anschiss von Kriminaldirektor Kunkeler hatte Lanner sich gestern noch Rimschows Akte geben lassen, also zumindest das, was frei zugänglich war. Er war Volkspolizist gewesen, ein außergewöhnlich fähiger, und hatte schon in jungen Jahren Karriere als Kommissar gemacht. Dann kam jedoch der Mauerfall, und er musste neu Tritt fassen. Er wurde überprüft, machte Schulungen und gelangte schließlich wieder zur Kripo, wo er bald Hauptkommissar und der erfolgreichste Ermittler der Berliner Polizei werden sollte.
    Nichts mehr zu sagen, war eine kluge Entscheidung gewesen. Lanner meinte zu spüren, wie Rimschow ihm mit jeder Minute Stille mehr Anerkennung zollte. Womöglich wäre es das Allerbeste gewesen, noch eine halbe Stunde schweigend zu warten, dann zu gehen, am nächsten Tag zurückzukehren und sich wieder an dieselbe Stelle zu setzen. Mit solchen Aktionen ließen sich die Herzen Norddeutscher und wahrscheinlich auch Brandenburger verlässlich erobern, aber die Zeit hatte Lanner nicht. Außerdem war der Weg dafür dann doch zu weit, denn Brandenburg ist immer ziemlich weit draußen.
    «Fehlt Ihnen die Polizeiarbeit eigentlich gar nicht?»
    Ohne den See auch nur eine Sekunde aus dem Auge zu lassen, antwortete Rimschow: «Die hört nie auf, die Polizeiarbeit. Dafür sind einfach zu viele Fälle ungelöst geblieben.»
    Lanner dachte sofort an den Computer, von dem die Zugehfrau erzählt hatte, an mögliche Netzaktivitäten Rimschows. «Arbeiten Sie von hier aus noch an alten Fällen?»
    «Die Fälle arbeiten mehr an mir, kann man sagen. Das sind doch Sachen, die werden Sie nie mehr los, die sind und bleiben immer da. Es ist, als würde jemand Ihre Memoiren schreiben – jemand, den Sie nicht kennen und auf den Sie auch keinen Einfluss haben. Immer wieder liest er Ihnen daraus vor, aber er verrät nicht, wann, warum, wie laut, wie lange und welches Kapitel er Ihnen vorlesen wird.»
    Lanner hatte gewiss keinen zufriedenen Ex-Polizisten erwartet, keinen glücklichen Pensionär, der einem frischen Kollegen gern sein Wissen weitergeben würde. Und doch irritierte ihn der Fatalismus Rimschows. «Haben Sie denn gar keine schönen Erinnerungen?»
    «O doch, jede Menge sogar. Ich hatte viele Erfolgserlebnisse, oft auch das Gefühl, etwas Richtiges oder Gutes getan zu haben, aber diese Kapitel werden einem verblüffenderweise nur selten vorgelesen.»
    Lanner ahnte langsam, warum Rimschow auf den See hinausstarrte. «Weshalb haben Sie sich pensionieren lassen?»
    «Ich bekam das Angebot und habe es genutzt.»
    «Das ist die kurze Version.»
    «Glauben Sie mir, für die lange haben Sie nicht genügend Zeit mitgebracht.» Rimschow griff sich einen Stein und prüfte dessen Beschaffenheit.
    «War es wegen des Ziegler-Falls? Wegen des Mädchens?»
    Rimschow wog den Stein in seiner rechten Hand. «Natürlich wegen Effi Ziegler. Wegen ihr und sicher hundert anderen Mädchen, Jungen, Männern und Frauen. Wegen allen, aber dieser Fall hat mein Konto fraglos vollgemacht.»
    «Ihr Konto?»
    «Ja, das Konto. Sie haben übrigens auch eins. Als junger Polizist denkt man noch, Fälle könnten abgeschlossen werden. Irgendwann gibt es einen Täter, ein Urteil, eine Strafe, und damit ist es dann vorbei. Aber es ist nie vorbei, selbst wenn Recht gesprochen wurde. Es ist nie vorbei, nicht für das Opfer, nicht für den Täter und auch nicht für den Kommissar. Es bleibt alles, und irgendwann ist das Konto voll.

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