Der König von Berlin (German Edition)
müssen. Es ist wie ein Fluch. Und wenn Sie Polizist sind, machen Sie unweigerlich neue Fehler, die Sie zwingen, weiter Polizist zu bleiben. Es gibt kein Entrinnen.»
Rimschow atmete schwer. Lanner ließ ihn einen Moment, aber dann hielt er die Anspannung nicht mehr gut aus. Er musste Druck aus dem Gespräch nehmen, sofort. «Aber jetzt haben Sie es doch geschafft. Sie sind entkommen. Sie haben gekündigt.»
Rimschow fuhr regelrecht geschockt herum. «Da habe ich Sie wohl doch überschätzt, Herr Lanner.»
Der junge Hauptkommissar war verwirrt. «Aber Sie haben doch gekündigt, oder nicht?»
«Warum ich wirklich vor vier Monaten aufgegeben habe, verrate ich Ihnen eventuell mal, wenn Sie ein richtig guter Polizist geworden sind. Aber noch haben Sie dafür in Ihrem Leben bei weitem nicht genug versaut.» Die Melancholie kehrte zurück in Rimschows Augen, und er lächelte unerwartet warm.
Wenn du wüsstest, dachte Lanner und sagte: «Da wär ich mir nicht mal so sicher.»
«Die paar Kompromisse, die Sie wahrscheinlich in Niedersachsen eingehen mussten, um Ihre Karriere so rasant voranzutreiben, sind nichts im Vergleich zu den Kröten, die Sie hier werden schlucken müssen. Mit Ihrem ersten Fall haben Sie sich gleich in den tiefsten Sumpf der Stadt verirrt, wo es, glauben Sie mir, reichlich Kröten gibt. Und noch mehr Gelegenheiten, Fehler zu machen. Richtige Fehler.»
«Meinen Sie wirklich, man wird nur durch Fehler zu einem guten Polizisten?»
«Das, was die Fehler aus uns machen, ist etwas, das kein Ausbildungslehrgang, keine Polizeischule simulieren kann. Ich bin überzeugt, es gibt niemanden auf der Welt, der sein Leben ohne Makel lebt, seinen Beruf immer einwandfrei ausübt. Ich halte es für idiotisch zu denken, ein Chirurg könnte ohne Fehler durch sein Berufsleben kommen. Selbstverständlich wird er irgendwann einen Fehler machen. Und dann, bei der Frage, wie er mit diesem Fehler umgeht, ihn verarbeitet, da entscheidet sich, ob er ein wirklich guter Chirurg wird oder bleiben kann. Auch wenn das natürlich sehr, sehr schwierig ist, sollte man dennoch versuchen, dies zu einem Punkt des Medizinstudiums zu machen. Und der Polizeiausbildung, des Jurastudiums und so weiter. Was tue ich, wenn ich Fehler mache? Wie gehe ich mit furchtbaren Folgen von Fehlern um? Wie kann ich nach ihnen weiterarbeiten, mit ihnen weiterleben? Erst recht, wenn es eigentlich gar keine Fehler waren. Was der junge Polizist damals getan hat, war ja trotzdem richtig. Verstehen Sie? Auch wenn es sich als furchtbarer Fehler herausgestellt hat, war es trotzdem richtig, dem Jungen eine Chance zu geben. Verstehen Sie das? Auch das Richtige zu tun, kann furchtbare Folgen haben. Das Gesetz schützt auch die, die es anzuwenden haben. Schützt sie vor ihren eigenen Ansprüchen und Idealen.»
Lanner blickte auf den See. Er wusste, dass sie schwieriges Terrain erreicht hatten. Wie viele Verbrecher, gerade in diesem Land, hatten sich nicht hinter dem Gesetz versteckt? Aber er wollte sich nicht in diesen Fragen verlieren, sondern das Gespräch endlich auf die Themen lenken, wegen derer er hier war.
«Es war ein Fehler, den Tod von Erwin Machallik als Unfall zu deklarieren.»
Rimschow setzte sich auf. «Selbstverständlich, aber was hätten Sie machen sollen? Die Weisung kam doch direkt vom Polizeipräsidenten. Sie hätten es nicht verhindern können.»
«Vielleicht kann ich es noch korrigieren.»
«Vielleicht, aber Sie sollten abwägen, ob es den Preis wert ist. Sie machen sich keine Vorstellung, mit welchen Leuten Sie es da zu tun bekommen.»
«Sie meinen Leute wie Dr. Kersting?»
«Dem wären Sie ohnehin bald begegnet, auch ohne Ihre dämliche Aktion bei Dr. Jortz.»
«Sie sind erstaunlich gut informiert. Haben Sie noch Informanten im Präsidium?»
«Wenn, würde ich es Ihnen sicher nicht verraten. Aber nein, ich habe keine Informanten, nur ein paar Freunde. Den Rest erfahre ich aus dem Computer. Es ist erstaunlich, was man da mittlerweile alles findet.»
«Steht im Computer auch, warum Machallik ermordet wurde?»
«Leute mit einem Motiv gibt es wirklich genug. Pikanterweise die Hälfte von Berlins besserer Gesellschaft. Gehörnte Ehemänner, missachtete Frauen, hintergangene Geschäftspartner, gefeuerte Angestellte und gedemütigte Söhne. Vielleicht ging es aber auch um etwas wirklich Großes.»
«Was genau meinen Sie damit?»
«Machallik war sehr viel mehr als nur Chef einer Kammerjägerfirma. Er war Großmaul und
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