Der König von Berlin (German Edition)
machte sich auf den Weg zu den Toiletten bei den vorderen Räumen.
Als er außer Hörweite war, beugte sich Max zu seiner Sekretärin und raunte: «Entschuldige, Tante Claire, ich wollte dich nicht zurechtweisen, aber auf die Cheftoilette muss der Herr Wolters jetzt nicht auch noch gleich. So weit sind wir noch nicht.»
Frau Matthes nickte. Er hatte natürlich recht. Es wäre übertrieben, dem Aushilfskammerjäger schon die Privattoilette im Bunkerbüro zu zeigen.
Auch Helmut war dieser Meinung. «Wir waren schon fast dreißig, als uns Papa das erste Mal erlaubt hat, seine Hochsicherheitstoilette zu benutzen.»
Max nickte. «Und das auch nur, weil er zu besoffen war, sein LSD aus dem Spülkasten zu holen.» Er lächelte – LSD, auch wieder so typisch für seinen Vater. Selbst bei seinen Drogen war er auf eine verquere Art altmodisch gewesen. Was gut für John Lennon war, ist auch gut für Erwin Machallik, hatte er seinen Kindern mit auf den Weg gegeben, ihnen aber gleichzeitig unter Androhung schlimmster Strafen verboten, selbst Drogen zu nehmen, und schon gar nicht LSD. Allerdings, so vermutete Max, weniger aus Sorge um die Gesundheit seiner Söhne, sondern mehr, weil er das Zeug für sie einfach viel zu teuer fand. Zu wertvoll, da sie ja auch nicht in der Lage waren, es so zu nutzen wie er. Denn ihn, Erwin Machallik, so hatte er es seinen Söhnen nicht ohne Stolz seinerzeit verkündet, versetzte LSD in die Lage, mit Ratten zu kommunizieren, also mit den intelligentesten Ratten, den Familienoberhäuptern, in telepathischen Kontakt zu treten. Deshalb, behauptete er, kannte er ihre Geheimnisse, und deshalb verehrten die Ratten der Stadt ihn auch wie einen Gott. Zu Recht, wie Erwin Machallik fand.
Max erinnerte sich, wie sein Vater einmal sogar die Vermutung geäußert hatte, dass dies der eigentliche kosmische Grund für die Erfindung des LSDs sei – eben dass er, Erwin Machallik, dadurch mit den Ratten in telepathischen Kontakt treten könne. Natürlich habe der Erfinder, dieser Albert Hofmann, nichts von diesem höheren Zweck gewusst, als er das Halluzinogen 1943 entwickelte. Aber das sei ja gerade das Faszinierende des kosmischen Plans, dass der Einzelne gar nichts über die tiefere Bedeutung des eigenen Tuns wisse. Wir seien eben alle nur Werkzeuge des Kosmos und seiner Ordnung.
Wobei, John Lennon war schon auch ein Grund, den der alte Machallik hatte gelten lassen. Viel sprach für die Annahme, dass LSD auch erfunden wurde, damit John Lennon Kontakt zu Melodien, zu einer Musik aufnehmen konnte, die sich eigentlich in einer Parallelwelt befand und die er nur durch diese Droge wahrnehmen und in unsere Welt transportieren konnte. Das war für Erwin Machallik doch auch noch eine logische Erklärung. John Lennon und Erwin Machallik: Um die außergewöhnlichen Fähigkeiten dieser beiden Menschen nutzen zu können, hatte der Kosmos die Entwicklung von LSD zugelassen.
In einem solchen Moment, also als sein Vater solche Überlegungen rausfabulierte, hatte Max Machallik definitiv und für alle Zeit beschlossen, niemals in seinem Leben harte Drogen zu nehmen. Leider war er, als er diesen Beschluss gefällt hatte, noch ein Kind gewesen und wusste nicht, dass auch Alkohol eine verdammt harte Droge ist. Als er dies dann Jahre später realisierte, war sein Leben wiederum schon so deprimierend, dass es nun doch nicht mehr praktikabel erschien, mit dem Alkohol wieder aufzuhören.
«Trotzdem sollten Sie sich freuen, wenn der Herr Wolters so gut mit der Presse umgehen kann. So jemand hat wirklich gefehlt, seit Ihr Vater nicht mehr ist.»
Frau Matthes holte Max aus seinen Gedanken zurück, und das auch noch mit einer kaum versteckten Kritik an seiner Öffentlichkeitsarbeit. Nur aus Respekt vor der alten Dame kämpfte er gegen den aufsteigenden Zorn an und versuchte, möglichst lässig zu antworten. «Ja, ja, Tante Claire, ich finde auch, dass er das sehr ordentlich gemacht hat, aber ihn deshalb gleich auf Papas Toilette gehen zu lassen, ist dann doch wohl ähnlich übertrieben, wie ihn nach ein paar humorigen Sätzen gleich zu einer Art Pressesprecher ernennen zu wollen.»
Er wollte seine Bemerkung mit einem souveränen, dezenten Lachen abrunden, aber wieder wurde er auf wuchtige Weise von Helmut übertönt.
«Höhö, Pressesprecher, höhö», es war zwar mehr gegurgelt als gesprochen, das Wort Pressesprecher und ein gewisses Amüsement ließen sich aus diesem Gegurgel jedoch immerhin herausinterpretieren.
Wie Helmut
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