Der König von Berlin (German Edition)
breiter wurde, stampfte er auf, griff sich einen Laptop, legte in der unnachahmlichen Intonation eines Pubertierenden seinen ganzen Weltschmerz und Ekel in ein umfassendes «Mann, ey!» und verließ durch eine der vielen Türen den Raum.
K olbes Anblick hätte Lanner eigentlich aufmuntern müssen. Das rot angelaufene Gesicht unter dem stoppeligen Haaransatz, dazu das sinnlose Hin- und Hergerenne und Rumgebelle – der dreieckige Spurensicherer wirkte wenig souverän. Aber Lanner selbst war auch nicht gerade in Bestform, als er im Machallik-Büro eintrudelte.
Der Streit mit Carola Markowitz war lang und kräftezehrend gewesen. Bei Königs Wusterhausen hatte er sie am Telefon erreicht, und erst kurz vor seiner Wohnung in Alt-Tempelhof hatten beide wütend die rote Taste gedrückt. Wobei sie nicht nur gestritten hatten. Einen Teil des Gesprächs hatte Markowitz’ Schilderung eingenommen, wie sie den Kaminski-Fall aufgeklärt hatte. Lanner war zusätzlich gereizt, weil er unterwegs mindestens fünfzigmal angehupt und mit Gesten belehrt wurde. Natürlich war es für die Autofahrer ein Fest, wenn sie einen Polizisten im Streifenwagen entdeckten, der mit dem Handy telefonierte. Und einen Polizisten auf Regelverstöße aufmerksam zu machen, ist eine Bürgerpflicht, der ein Berliner, ganz gleich welcher politischen, religiösen oder sexuellen Orientierung er anhängt, gern und mit Eifer nachkommt.
Am Haus angelangt, war Lanner hoch in die Wohnung gerannt. Ein frisches, ungebügeltes, hellblaues Hemd, eine frische Hose, ein schönes Stück Cloppenburger Rauchmettwurst, und schon hatte er wieder im Dienstwagen gesessen und war in Richtung Firma Machallik gefahren.
Kolbe schien fast erfreut, Lanner zu sehen, als hoffte er, ein kurzes Gefecht mit seinem Lieblings-Sparringspartner könnte ihn vielleicht beruhigen. «Ah, der junge Herr Hauptkommissar. Das ist ja schön, dass Sie uns auch schon beehren. Wie ich höre, haben Sie heute Morgen bei uns die Gleitzeit eingeführt und sich auch gleich selbst genehmigt.»
«Ich hatte eine lange Nacht.»
Der Spurensicherer wippte vor Kampfeslust. «Ja, die Berliner Nächte, die können einen mitnehmen, wenn man das nicht so gewohnt ist. Ist schon was anderes als Oldenburg, oder?»
«Cloppenburg. Und meine lange Nacht hab ich in Brandenburg verbracht.»
Kolbe machte ein überraschtes Gesicht, genauer gesagt, er machte sein überraschtes Gesicht. Also das Gesicht, das er machte, wenn er beschloss, ein überraschtes Gesicht zu machen. Das war etwas anderes als das überraschte Gesicht, das er machte, wenn er richtig überrascht wurde. Nun machte er also sein kontrolliert überraschtes Gesicht. «In Brandenburg? Na, Sie lassen es aber so richtig krachen. Wissen Sie, was man über Brandenburger Nächte sagt?» Er wartete, eine lauernde Pause, und als er sicher war, von Lanner keine Antwort zu bekommen, gab er sie selbst. «Nichts. Von den Brandenburger Nächten ist der Welt nichts bekannt. Trotzdem, man munkelt, es soll sie geben. Es heißt, das Einzige, was noch länger ist als die Brandenburger Nächte, sind die Brandenburger Tage.»
Lanner nahm es teilnahmslos hin. Er kannte den Spruch aus Niedersachsen. In Bremen machte man ihn über Delmenhorst oder Vechta. Während Kolbe vor Lachen tuckerte, merkte Lanner, dass sich etwas verändert hatte. Die letzte Nacht hatte ihn verändert. Vor gerade mal sechzehn Stunden war er fest davon überzeugt gewesen, sterben zu müssen, hatte sich mit seinem Tod praktisch abgefunden. Nun stellte er fest, dass ihn Kolbes Alphamännchen- und Demütigungsspielchen nicht mehr juckten. Er war unverwundbar geworden, zumindest für Kolbe. «Kein Wunder, dass Sie so nervös sind, Herr Kolbe. Wenn Sie den Raum nicht bald aufkriegen und Herrn Karhan Zugang zu den Unterlagen verschaffen, könnte sich Berlin, ach was, ganz Deutschland beim Besuch des russischen Präsidenten ziemlich blamieren. Dann werden viele wichtige Leute jemanden suchen, auf den sie die Schuld abwälzen können.»
Der dicke Spurensicherer verstummte auf der Stelle und drehte sich wieder zur Bunkertür. «Das lassen Sie mal schön meine Sorge sein. Ich werde diese Tür schon aufgebröselt kriegen und diese drei toten Dödel rausholen.»
«Einer dieser Dödel, Herr Wolters, um genau zu sein, ist ein guter persönlicher Freund von mir, Herr Kolbe.»
Erschrocken drehte sich der kleine Mann um. Das schien ihm wirklich ein wenig unangenehm zu sein. «Davon wusste ich nichts.»
Kein Problem,
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