Der König von Havanna
die Eier!«
Rey machte sich daran, von der Stapelpalette zu steigen, etwa zwei Meter über dem Boden. Der Schwarze packte ihn brutal am Genick und versetzte ihm einen harten Kinnhaken.
»Ich habe dir gesagt, du kannst jetzt nicht gehen. Scheiß dir in die Hosen!«
Rey kniff den Arsch zusammen und wurde ebenfalls brutal. Er versetzte dem Schwarzen einen guten Schlag ins Genick, aber der Kerl war aus Eisen. Er spürte nichts und ergriff eine Flasche. Der andere Schwarze wollte ihn zurückhalten, aber der Kerl entwischte und versuchte ihm mit der Flasche auf den Kopf zu schlagen. Rey wich aus. Der Schwarze verlor das Gleichgewicht. Rey gab ihm einen kräftigen Stoß. Der Kerl fiel hintenüber auf den Arsch, genau an den Rand der Palette. Er konnte sich nicht halten und stürzte hinunter auf den Boden. Zwei Meter. Er fiel auf den Rücken. Schlug hart auf. Offenbar brach er sich einen Knochen. Er wollte aufstehen. Es gelang ihm nicht. Er fing an zu jammern. Das Laufband produzierte immer mehr Flaschen und Kisten. Die anderen konnten nicht an sich halten und kamen dem Typen am Boden zu Hilfe. Um ein Haar hätte Rey sich in die Hosen gemacht. Er rannte in eine Ecke hinter ein paar Bierkisten und schiss. Er schiss viel und ausgiebig. Uff. Er glaubte, er sei fertig. Nein. Er schiss noch etwas mehr. Ah, fertig. Er hatte nichts, um sich abzuwischen. Nur die Hand. So gut er konnte, säuberte er sich mit den Fingern und wischte dann seinerseits die Finger am Boden ab. Er zog die Hose hoch und ging zurück. Man war immer noch um den Typen am Boden bemüht. Er hatte sich etwas gebrochen und große Schmerzen. Er schaffte es nicht, allein aufzustehen. Sie brachten ihn humpelnd fort. Der Schwarze rief Rey etwas zu, aber der hörte ihn nicht und beachtete ihn auch nicht. Er ging zurück auf seinen Posten, sah niemanden an, und arbeitete weiter.
Am Abend nahm ihn der dicke Alte beiseite. Den Vorfall erwähnte er mit keinem Wort. Er gab ihm fünfzig Pesos.
»Wofür das?«
»Der heutige Nebenverdienst.«
»Was für ein Nebenverdienst?«
»Hast du nicht geholfen, vier Laster zu beladen?«
»Ja.«
»Das hier ist für uns. Jedes Mal, wenn ein Lastwagen einfährt, muss er schnell beladen werden, damit er schnell wieder losfahren kann.«
»Hmmm.«
»Falls ein Betriebsinspektor kommen sollte, weißt du von nichts und hast hier auch nie einen Lastwagen gesehen.«
»Wir kümmern uns hier nur um die Paletten und Lastenaufzüge, nichts weiter.«
»Genau.«
»Hmmm.«
Fünfzig Pesos am Tag waren schon was ganz anderes. Jeden Tag kamen drei, vier Lastwagen hereingefahren. Der Schlägertyp erschien nie wieder. Die anderen wurden etwas zugänglicher. Auch Magda beruhigte sich, als sie sah, dass Rey jeden Tag mit netten fünfzig Pesos ankam. Sie meckerte nicht mehr und wusch ihm sogar hier und da einmal die Wäsche und kochte ihm gelegentlich etwas. Frittierte Süßkartoffeln und Avocado. Oder weißen Reis mit zerkochter Yuccawurzel.
Als sie eines Abends ihre Arbeit beendeten, trat einer der Schwarzen an ihn heran.
»Hör mal, Mulatte. Du verdrückst dich immer gleich, sobald es läutet. Das geht nicht. Man teilt mit Freunden.«
»Hmmm.«
»Los, geh mit uns.«
»Was gibt’s?«
»Wir haben da unten ein paar Helle, Kumpel.«
Sie gingen hinunter in den Keller. Versteckt hinter den Aggregaten stand ein großer Behälter mit Eis und vielen Flaschen eiskalten Biers. Die fünf schwarzen Stapler sahen aus wie Schwergewichtsboxer. Drei hatten ein gebrochenes Nasenbein. Ein anderer hatte eine große Schnittwunde quer über der Backe bis zum Hals. Alle trugen viele Tätowierungen. Worte waren überflüssig. Es reichte, sich schweigend anzusehen. Alle zehn Minuten gingen die riesigen, alten Kompressoren los, und das Dröhnen machte Unterhaltung oder Musikhören unmöglich. Also tranken sie nur. Die Kompressoren zischten ein paar Minuten lang und standen wieder still. Zehn Minuten Musik. Dann begannen sie wieder zu schnarren und über die Rohrleitungen nach oben Kälte abzugeben. Sie hatten schon einige Flaschen getrunken. Die Fabrik war 1921 gebaut worden. Und alles stammte noch aus der Zeit: das Gebäude, die Kompressoren, die Technik, der Gestank nach Feuchtigkeit, Moder und Urin, die Kakerlaken. Dann erschienen drei Mulattinnen. Sie kamen direkt vom Laufband hinunter in den Keller. Sie legten Hauben und den Mundschutz aus grünem Stoff ab, lächelten, grüßten und tranken Bier. Zwei waren etwas welk, mit kaputten Zähnen. Aber die
Weitere Kostenlose Bücher