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Der König von Havanna

Der König von Havanna

Titel: Der König von Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pedro Juan Gutiérrez
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brachte. Es war nicht schwer. In dem riesigen Lager war er ganz für sich allein. Der Typ auf dem Wagen sagte kein Wort. Eine Stunde später zerriss der Hunger ihm die Eingeweide. Er suchte den dicken Alten. Der Kerl war nirgends zu sehen. Er schleppte weiter Kisten und schwitzte. Um zehn Uhr glaubte er, gleich das Bewusstsein zu verlieren. Er war sehr schwach. Und musste sich kratzen. Die Filzläuse waren bei all der Hitze und dem Schweiß schier aus dem Häuschen. Und juckten immer heftiger. Schließlich kam der alte Dickwanst. Geschwächt sagte Rey zu ihm: »Hören Sie, Señor, ich muss unbedingt etwas essen, denn …«
    »Ach ja, das habe ich vergessen. Am Ende dieses Ganges gibt es einen Kiosk. Dort werden Fleischkroketten und Getränke verkauft.«
    »Ähm.«
    »Was?«
    »Ähm … ich habe kein Geld.«
    »Menschenskind, dann sag doch was. Das kann doch keiner ahnen. Da, nimm. Ein Fünf-Peso-Schein. Heute Nachmittag gebe ich dir den anderen.«
    Rey aß Fleischkroketten, Reis und Bohnen zu Mittag. Den ganzen Tag über stapelte er Kisten. Um fünf Uhr nachmittags kassierte er sein restliches Geld. Er roch nach totem Hund. Der dicke Alte reichte ihm den Schein mit spitzen Fingern und fragte ihn: »Kommst du morgen wieder?«
    »Ja, klar.«
    »Also, nimm es mir nicht übel, Kumpel, aber wasch dich um Himmels willen, du stinkst wie die Pest.«
    »Hmmm … Gibt’s hier ein Bad?«
    »Da hinten sind Duschen, aber es gibt kein Wasser. Die sind noch aus der Zeit, als die Festung El Morro aus Holz war.«
    »Hmmm.«
    »Aber nimm dir einen Eimer Wasser aus der Gärung und geh nach hinten, um dich zu waschen.«
    »In Ordnung.«
    »Und willst du diese stinkenden Sachen etwa anbehalten? Na gut … schließlich deine Sache.«
    An dem Tag ging Rey sauber von der Arbeit, wenngleich mit derselben ekelhaften Kleidung. Am nächsten Tag schenkte ihm der dicke Alte ein Stück Seife, am übernächsten ein sauberes Unterhemd. Am überübernächsten eine Hose. Am überüberübernächsten brachte er ihn zum Fabrikarzt, damit der ihn von seinen Filzläusen und der Krätze heilte. Eine Woche später sah Rey viel besser aus, und der dicke Alte sagte zu ihm: »Rey, im Lager hast du eigentlich nichts zu suchen. Für zehn Pesos am Tag zu arbeiten ist kein guter Job.«
    »Hmmm.«
    »Willst du in die Produktabpackung?«
    »Was ist das?«
    »Produktabpackung.«
    »Aha.«
    »Willst du oder nicht?«
    »Hmmm.«
    »Dann komm mit.«
    Sie gingen in die Fabrik. Dort wurde Bier in Flaschen abgefüllt. Das Dosenzeitalter hatte noch nicht begonnen. Das Geklirr der aneinander stoßenden aufgereihten Flaschen war ohrenbetäubend. Die Frauen hatten junge, verbrauchte Gesichter. Mulattinnen und üppige Schwarze, fröhlich und verschwitzt, frotzelten viel mit den Packern herum. Es herrschte eine gute, lockere Atmosphäre. Und die Flaschen kamen eine nach der anderen an. Man musste sie in die Kisten stellen. Und die Kisten auf Paletten. Lastenaufzüge brachten die Paletten fort. Und es kamen mehr und mehr Flaschen. Ein paar starke, schwitzende Schwarze stapelten die Kisten.
    Fünf oder sechs Schwarze. Sie warfen ihm etwas finstere Blicke zu und machten weiter. Der dicke Alte steckte ihn zu zwei Schwarzen. Er musste nicht im Akkord arbeiten, sondern konnte sich auf einen bequemen Rhythmus einstellen, wenngleich ohne Pause. Er musste dem Takt der Abfüllmaschine folgen. Manchmal war ein Lastwagen direkt zu beladen. Und da legten die Schwarzen größeren Eifer an den Tag. Leise rollte der Laster davon, mit einer gewissen Heimlichkeit. Und sie machten weiter mit ihren Paletten und Lastenaufzügen, die die Kisten ins Lager brachten. Großer Lärm. Man verstand kein Wort. Wenn man etwas sagen wollte, musste man schreien. Rey musste dringend aufs Klo. Er riss sich zusammen. Man durfte nicht aufs Klo. Das machte es noch dringender. Er kniff den Arsch zusammen und beherrschte sich. Er spürte, dass er sich gleich in die Hosen machen würde. Natürlich trug er keine Unterhosen. Nie hatte er Unterhosen getragen. Würde er sich in die Hosen machen müssen? Nein. Er schrie einem seiner Kollegen zu: »Hör zu, ich muss aufs Klo! Wo kann man hier scheißen?«
    »Neineineineinein!«
    »Was heißt hier neineineineinein? Ich mach mir gleich in die Hose, verdammt. Verstehst du mich nicht? Wo kann man hier scheißen?«
    »Erst wenn es läutet. Wenn es läutet, kannst du gehen.«
    »Kriech doch deiner Mutter in die Fotze, was für ’n Arsch bist denn du? Ich scheiß mir gleich durch

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