Der König Von Korsika
taufeuchten Olivenbäumen, Kastanien und Stechpalmen und auf den Fassaden der Häuser.
Die Bevölkerung drängte sich – denn bereits seit zwei Tagen trafen die noblen Korsen ein – auf dem kleinen Platz vor der dicht umbauten Kathedrale San Erasmo und dem sich anschließenden Bischofspalast und schrie, rief und schoß, auch aus den Fenstern, genau wie im Hafen von Aleria.
Die Männer bekreuzigten sich einer nach dem andern, bevor sie die Kirche betraten. Theodor, umgeben von seiner Garde, stand noch und grüßte. Der beißende Pulvergeruch verzog sich nur langsam, das rhythmische Vivatgeschrei hallte in seinen Ohren, irgendwo quiekte ein Schwein. Charles Sweeney hielt ihm die Tür auf und sagte ironisch: Das Konklave beginnt.
Overbeck, der als Protestant keinen Fuß in die Kultstätten der Papisten setzte, blieb draußen und versuchte sich mit Gesten und Worten als der hungrige Hofpoet Seiner
Majestät kenntlich zu machen, den es nach einem kostenlosen Mahl in einem Gasthaus verlangte.
Theodor blieb einen Moment in der düsteren Vorhalle unter dem Lettner stehen, tauchte die Hand ins Weihwasserbecken und dachte an seine Schwester, der er – zum ersten Mal seit Jahren – aus Aleria geschrieben hatte, um sie von seiner Erhöhung in Kenntnis zu setzen.
Aber von Erhöhung konnte keine Rede sein in den folgenden zwei Wochen, die das »Konklave«, wie Sweeney es genannt hatte, dauerte.
Jeder Tag – die korsischen Patrizier schliefen lange – begann mit einer Messe. Aus dem Weihrauch wechselte man in die Küchendünste und den Tabaksqualm, selten einmal saßen alle um den Refektoriumstisch, man sprang erregt auf, beriet sich in Nebenräumen, schloß sich mit seiner Familie ein, kehrte zurück, wedelte mit Papieren, verlas Resolutionen, zerriß wütend das Geschriebene, ganze Fässer sauren korsischen Rotweins leerten sich, die Fenster wurden aufgerissen, um die von Rauch und Erregung tränenden Augen zu trocknen. Abordnungen der Bevölkerung von Cervioni klopften mit Bittgesuchen an die Tür, der Schweinebraten war fertig und wurde gereicht, dann Käse, dann Kaffee, dann Kräuterschnäpse, schließlich zog man sich zur Siesta und kleinen Diskussionszirkeln zurück. Ab fünf Uhr tröpfelten die Herren wieder herein, der Pfarrer und der Bürgermeister beschwerten sich über den Andrang von Freudenmädchen, die der Rat hergelockt hatte, ein offizieller Text, der ihre Präsenz verdammte, wurde verfaßt und ein Haus requiriert, um sie unterzubringen, und eifrig besucht. Gegen Abend nahm der Pfeifen- und Zigarrenrauch zu, man konnte kein Ende finden, wetzte auf seinen Stühlen, lamentierte, feilschte, grollte, rieb sich die Hände, rang, knetete, faltete sie, hob sie in die Höhe, beschrieb Bahnen und Kurven, Männer standen auf und deklamierten flammende Aufrufe, setzten sich wieder und
sahen sich verlegen um. Zirkel und Seilschaften und Koalitionen fanden sich und schaukelten eine Weile über die Hängebrücke einer gemeinsamen Strategie, bis die morschen Seile rissen.
Theodor, der Huldigungen und Dank erwartet hatte, wurde mit Fragen bestürmt, mit Forderungen konfrontiert, mit Bitten überschüttet, man sah ihn flehend an, mißtrauisch, ungläubig, grimmig, hochmütig. Er setzte seine tunesische Lesebrille auf, um die Papiere, die ihm gereicht wurden, zu überfliegen, und versuchte, Ruhe zu schaffen im kakophonischen Chor der von ihren Aussichten und Ansprüchen trunkenen Patrizier.
Don Teodoro, Sie haben uns garantiert... Don Teodoro, Sie haben uns versprochen... Don Teodoro, wir sind davon ausgegangen... Don Teodoro, auf keinen Fall akzeptieren ich und meine Familie... Don Teodoro, ein Anfang mag ja gemacht sein, aber...
Oder fordernd und drohend: Wo bleiben die Söldner, Don Teodoro?... Nur über meine Leiche!... Nie und nimmer, Don Teodoro... Was erwarten Sie denn noch alles von uns?...
Oder, sobald er gesprochen hatte: Das können Sie nicht von uns verlangen, Don Teodoro... Ich habe Familie, Don Teodoro... Ich bin nur ein einfacher Bauer, Don Teodoro... Das müssen Sie verstehen, Don Teodoro... Versetzen Sie sich einmal in unsere Lage, Don Teodoro...
Und standen die Meinungen gegeneinander, lief es immer wieder auf das eine hinaus: Don Teodoro, Sie kennen Korsika, unsere Heimat, unsere Traditionen, unsere Mentalität noch nicht richtig, daher erlaube ich mir, Sie darauf hinzuweisen... Don Teodoro, Sie sind kein Korse, Sie können das nicht begreifen, nachvollziehen, fühlen... Don Teodoro, Sie dürfen
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