Der König Von Korsika
Frühling 1744 lebte Theodor in Siena. Er nannte sich Baron von Bergheim. Er beschäftigte zehn Männer, Kammerdiener, Sekretäre, Verwalter. Er führte ein großes Haus. Er bezahlte in englischen Pfund.
Im Herbst 1745 erschien er mit einem Memorandum zur Befreiung Korsikas am Hofe in Turin. Er trug einen kragenlosen violetten Frack, dessen Revers und Taschen brokatbestickt waren, auf der Brust die Großmeistermedaille des Erlösungsordens, um die Taille eine grüngoldene Atlasschärpe. Seine Vorschläge wurden abgewiesen.
Im Juli 1746, von einer Reise nach Wien zurückgekehrt, wo er neuerliche Unterstützung für seine Thronansprüche hatte finden wollen, logierte er als Untermieter eines Kunsttischlers in der Vorstadt von Volterra.
Im Februar 1747 fuhr er in derselben Sache wieder nach Wien, verkleidet als Geistlicher, und erhielt von verschiedenen Logenbrüdern Unterkunft und Almosen, wurde aber nicht bei Hof empfangen.
Im August 1747 suchte eine Abordnung von Soldaten ihn in der billigen Pension in Florenz auf, wo er eine Kammer bewohnte, und präsentierte ihm den Ausweisungsbefehl.
Gegen Ende des Jahres war er in Köln und kam dort bei seinem entfernten Verwandten, dem Baron Drost, unter. Von dort aus reiste er, um seinen Gläubigern zu entgehen und sie zugleich suchend, da sie seine einzige Geldquelle waren, zwischen Amsterdam und Hamburg hin und her. Er nannte sich Baron von Stein, Sir John Palmer, Abbate Lacenere, er spielte, verkaufte korsische Orden und Münzen, leistete verschiedene Dienste.
Im Januar 1749 traf er mit einem Empfehlungsschreiben des holländischen Ministers Hop in London ein, das ihm Zutritt zu diplomatischen Kreisen und der Gesellschaft verschaffte. Er nannte sich Baron von Stein, sorgte aber dafür, daß jedermann wußte, wer er war. Die Republik Genua
verlangte noch immer seine Auslieferung, die von John Pelham abgelehnt wurde.
Der grauhaarige, hager gewordene Mann mit dem müden Lächeln des Weitgereisten, der einen Sommer lang König gewesen war, wurde einen Sommer lang die Attraktion der Londoner Salons. Der Schweizer Botschafter Schaub bezahlte Theodor fürstlich dafür, seinen Empfängen Glanz zu verleihen. Der junge Horace Walpole stellte in seiner Gegenwart seine Sammlung von, wie er es nannte, Neuhoffiana vor, die Theodor zu einer historischen Kuriosität machten, einem Mann, der nur noch seine Vergangenheit vor sich hat.
Man nannte ihn wieder Majestät. Man redete über die Extravaganz seiner Toilette, die Hoheit seines Auftritts. Er sah sich schon wieder als gemachten Mann, als er am Abend des einundzwanzigsten Dezember auf einem Empfang bei Schaub wegen mehrerer Millionen Pfund Schulden verhaftet wurde.
Der vorderste der Uniformierten, ein unsicher um sich blickender junger Mann, fragte ihn: Sir, sind Sie der Baron Neuhoff, König von Korsika?
Theodor empfand das Neutestamentliche der Szene zu deutlich, um einem Bonmot widerstehen zu können, streckte die Hände aus, neigte den Kopf und antwortete: Du sagst es.
Die Umstehenden lachten und applaudierten ihm, bis er aus dem Saal geführt war.
Fünfzehntes Kapitel
Des Königs Blick inspizierte die Bühne: Pritsche, Nachttisch mit Öllampe, in der Ecke der Abtritt. In der Mitte des Raums der Schreibtisch, darauf ein Stapel begonnener Briefe und das weiße Papier, auf dem er eigentlich seine Memoiren verfassen wollte. Kein einziges Wort dazu war ihm bislang aus der Feder geflossen, etwas in ihm weigerte sich, die eigene Person in der Vergangenheitsform zu behandeln. Hinter dem Schreibtisch das rohgezimmerte Bord, das sich unter der Masse der Bücher bog. Neue belletristische Werke, die er noch nicht gelesen hatte, historische Abhandlungen, Zeitschriften. In der zweiten Zelle, in die durch einen Lichtschacht ein wenig Tageshelligkeit fiel, das schwere geschmacklose Möbel, das sich zu einem Thron verhielt wie eine nicht konsekrierte Oblate zum Leib des Herrn. Daneben die Sitzgelegenheit für den Gast. Die Psyche. Vor der Wand mit der vergitterten Luke saßen die Musiker und warteten auf ihr Zeichen.
Wo sind die Mandolinespieler für den Vivaldi? fragte der König streng.
Zwei an Hühnerknochen nagende Männer erhoben sich aus dem Gewölbeschatten. Theodor nickte. Habt ihr genug zu essen und zu trinken?
Klar, Sir! Danke, Majestät. Für vorgestern und gestern reichts. Gegen den Hunger von heute fressen wir nächste Woche!
William, fragte der König, welchen Aperitif können wir unserem Gast reichen?
Nur noch den
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